Vortrag bei Konrad-Adenauer-Stiftung und Hanns-Seidel-Stiftung an der Universität Würzburg zum Thema "Europapolitik im 21. Jahrhundert"

Sehr geehrter Herr Professor Dr. Laubenthal.
Liebe Stipendiatinnen und Stipendiaten.
Europapolitik zu Beginn des 21. Jahrhunderts.
So lautet das Thema des heutigen Nachmittags, zu dem ich das Einführungsreferat halten darf.
Das ist ein anspruchsvolles und gleichzeitig ein schönes Thema.
Und es freut mich, dass Sie alle heute abend gekommen sind.
Sie, meine Damen und Herren, sind die Stipendiaten von zwei herausragenden politischen Stiftungen in Deutschland.
Sie gehören zur Elite der Studierenden und Sie werden zur Elite unserer zukünftigen Entscheidungsträger gehören.
In dieser Funktion kommt Ihnen auch ein bedeutendes Maß an gesellschaftlicher Verantwortung zu.
Deshalb freue ich mich besonders, heute vor Ihnen zu sprechen und mit Ihnen zu diskutieren, und danke an dieser Stelle bereits für Ihr Interesse.

Persönliches
Ich habe selbst in Würzburg studiert und daher eine besondere Bindung an diese Universität und natürlich auch an die Stadt selbst.
Da ich ja auch Stipendiatin der KAS war, bin ich selbst in den Genuss der Seminarprogramme der Konrad-Adenauer-Stiftung gekommen.
Ich habe diese Veranstaltungen stets als eine Bereicherung meines Studienlebens betrachtet.
Und was habe ich nach dem Studium gemacht?
Zunächst promoviert und das Referendariat abgeschlossen und dann als Rechtsanwältin gearbeitet.
Und im Frühjahr 2004 war ich dann wohl zur richtigen Zeit am richtigen Ort, denn die CSU hat mich auf Platz 4 der landesweiten Liste für die Europawahlen aufgestellt.
Nun bin ich eine der jüngsten Volksvertreterinnen im Europäischen Parlament, die jüngste Vertreterin aus Bayern und sozusagen Anwältin für 1,3 Millionen Unterfranken.
Ich kann heute voller Überzeugung sagen, dass ich damit meinen Traumjob gefunden habe.

Aktuelle Themen:
- Revision der Luftreinhalterichtlinie (Feinstaub).
- PKW-Besteuerung.
- Einführung einer Abgasnorm Euro 5.
- Nadelstichverletzungen.
- Arbeitszeitrichtlinie.
- Pyrotechnische Gegenstände.

Zudem bin ich in meinen Ausschüssen mit zwei der wohl bekanntesten und bedeutendsten Gesetzgebungsverfahren, die die EU jemals hatte, beschäftigt.
Im Umweltausschuss mit der Neuordnung der EU-Chemikalienpolitik REACH.
Im Binnenmarktausschuss mit der Dienstleistungsrichtlinie.
Auf diese beiden wegweisenden Vorhaben möchte ich im letzten Teil meines Vortrages noch einmal ausführlicher eingehen.

Europa der Bürger
Ich habe gerade erklärt, dass ich Sie / dass ich Euch als Elite betrachte – wohl zu Recht!
Und ich habe auch gesagt, dass Sie eine gesonderte Verantwortung in unserer Zukunft tragen werden.
Eines kann und muss ich dazu hier am Anfang meines Vortrags verdeutlichen:
Wenn wir über Europa im 21. Jahrhundert sprechen wollen, dann muss uns klar sein, dass dieses Europa nicht mehr nur ein Europa der Eliten sein kann.
Wir brauchen alle Menschen in allen Teilen Europas, um unsere
Vision – unser Projekt – eines gemeinsamen Wirtschafts- und Werteraums verwirklichen zu können.
Diese Erkenntnis ist nicht neu.
Aber eine Reihe von Entscheidungen und europaweiten Diskussionen in der näheren Vergangenheit haben uns Politikern deutlich gemacht, dass wir nahe daran sind, die Bürgerinnen und Bürger auf unserem Weg zu verlieren.
Europa befindet sich derzeit in einer paradoxen Situation.
Einerseits verlangen die Bürger Lösungen für die großen Probleme der heutigen Zeit von der EU.
Andererseits besteht ein zunehmendes Misstrauen gegenüber den Europäischen Institutionen und der europäischen Politik, teilweise auch ein regelrechtes Desinteresse.
Hier müssen wir gegensteuern.
Die Menschen wollen Europa.
Und die Ablehnung des Verfassungsvertrags in Frankreich und den Niederlanden darf uns den Blick dafür nicht verrücken.
Die Franzosen und die Niederländer haben nicht gegen die EU gestimmt!
Sie haben nicht unser Ziel in Frage gestellt!
Nein, meine Damen und Herren!
Sie haben aber ein deutliches Zeichen gesetzt, dass der Weg nicht mehr stimmt.
Und sie haben in gewisser Weise Recht.
Ich möchte die innenpolitischen Beweggründe für das Abstimmungsverhalten insbesondere der linken Gewerkschaften in beiden Ländern außen vor lassen und mich nur auf die wirklich europapolitisch relevanten Aspekte beschränken.
Zuviel Bürokratie, zuwenig Flexibilität, zu viele Vorschriften und falsche Entscheidungen haben ein europakritisches Gefühl aufkommen lassen, das in der Ablehnung des Verfassungsvertrags gegipfelt hat.
Und, meine Damen und Herren, wir brauchen uns nicht zu wundern!
Wenn die linke Mehrheit sich an der erklärten Mehrheit der Europäer vorbei für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ausspricht.
Wenn Rat und Kommission entgegen aller Warnungen von Experten an einer baldigen Aufnahme Bulgariens und Rumäniens festhalten.
Ich habe gegen diese baldige Aufnahme gestimmt.
Wir – die CSU im Europäischen Parlament – setzen uns für eine bessere Politik – für Konsolidierung und Entbürokratisierung – ein.
Aber wir haben keine konservative Mehrheit im Europäischen Parlament.
Das ist schade.
Wir müssen täglich Mehrheiten finden, die themenbezogen immer wieder wechseln.
Darin liegt auch eine große Chance.
Denn wenn wir mit unseren Argumenten überzeugen können – gerade auch als junge Abgeordnete – dann können wir uns durchsetzen.
Ich bin eine überzeugte Europäerin.
Denn die Europäische Union hat viele Vorteile – gerade für Deutschland!

Vorteile Europas
Die EU spielt heute in so gut wie allen politischen Bereichen eine zentrale Rolle für Deutschland.
Aus wirtschaftlicher Sicht ist Europa für Deutschland unentbehrlich.
Für Deutschland als Exportnation stellt nicht nur der Euro, sondern vor allem auch der Binnenmarkt inklusive EU-Osterweiterung einen kaum zu überschätzenden Pluspunkt dar.
Über die Hälfte der deutschen Warenausfuhren gehen in die Partnerländer der EU.
Und wiederum mehr als drei Viertel davon gehen in die Eurozone.
Von den 15 wichtigsten Handelspartnern Deutschlands sind zehn
EU-Länder.
Laut Statistischem Bundesamt wurden beispielsweise im Jahr 2004 Waren im Wert von 733,5 Milliarden Euro ausgeführt, wovon Waren im Wert von 407,2 Milliarden Euro ihre Abnehmer in EU-Ländern fanden.
Das sind weit über 55 %, meine Damen und Herren!
Im Vergleich zum Vorjahr wuchs die Zahl der deutschen Versendungen in EU-Länder um 10,1 %.
Ein Wachstum, das wir uns in anderen Bereichen – leider – nur erträumen können!
Auch deutsche Außenpolitik ist heute ohne den europäischen Kontext gar nicht mehr machbar.
Für Deutschland ist Europa politisch von existenzieller Bedeutung:
In unserer zunehmend komplexeren Welt kann sich kein Staat mehr den klassischen Aufgaben der Außen- und Sicherheitspolitik erfolgreich alleine stellen oder gar entziehen.
Besonders in Bezug auf Kriminalität, Terrorismus, Umwelteinflüsse oder humanitäre Katastrophen sieht Deutschland sich einer Reihe von Bedrohungen gegenüber, denen es nur gemeinsam mit seinen europäischen und transatlantischen Partnern erfolgreich begegnen kann.
Auch in so unterschiedlichen Bereichen wie etwa Umweltverschmutzung oder Forschung gilt das Motto „Gemeinsam sind wir stark“.
Und die Idee der europäischen Gesetzgebung ist vernünftig: Wir ersetzen 25 Regelungen durch eine einzige Verordnung.
Gerade bei grenzüberschreitenden Sachverhalten bringt dies große Vorteile.
Denn Feinstaub, Hochwasser und CO2 machen an Staatsgrenzen nicht Halt.
Außerdem ist es wichtig, dass wir im Verbund mit den anderen Mitgliedstaaten der EU die Vorteile eines gemeinsamen Marktes mit immerhin 450 Millionen Verbrauchern nutzen können.
Das ist einer der größten Vorteile der EU: der Binnenmarkt.
Unsere Unternehmen können ihre Produkte ohne Hindernisse in ganz Europa bewerben, anbieten und verkaufen.
Deutschland hat ganz Europa zum Export.
Durch die enge Zusammenarbeit in verschiedensten politischen Angelegenheiten wird sich somit auch dauerhaft Deutschlands Einfluss in der internationalen Politik sichern lassen.

Darüber hinaus hat Europa in Gestalt der EU allerdings noch weit mehr als ein System politischer Kooperation oder eine Freihandelszone hervorgebracht.
Die europäische Idee von friedlichem Zusammenleben unter dem Dach von Menschenrechten und Demokratie kann der Welt als Modell dienen: entwicklungsoffen und anpassungsfähig, aber mit einer klaren Absage an Extremismus, Hass und Gewalt.
Außerdem genießen wir inzwischen über 60 Jahre Frieden zwischen den EU-Mitgliedstaaten.
Dies ist die längste zusammenhängende Epoche ohne Kriege in Europa, die es jemals gab!
Dies ist eine Errungenschaft, die mit keinem Geld der Welt aufzuwiegen ist, meine Damen und Herren.
Und nur in Europa findet Deutschland auch in Zukunft Wohlstand und Sicherheit.
Mit der Osterweiterung der Europäischen Union hat Europa, das Jahrzehnte lang von der Grenze zwischen Ost und West zerschnitten wurde, heute seine Mitte wieder gefunden.
Deutschland, mit Europas größter Einwohnerzahl und der größten Volkwirtschaft, liegt mitten in Europa.
Wir sind Europas Brücke!
Ein friedliches und stark machendes Verhältnis zu den neuen Mitgliedern und den alten Freunden und Partnern, die alle in derselben Union mit derselben Rechtsordnung leben, ist Deutschlands großes Glück.
Dass sich Deutschland nach Jahrhunderten voller Kriege heute in Frieden mit seinen europäischen Nachbarn und Freunden zu einer Union der 450 Millionen zusammenschließen kann, ist eine einmalige und historische Situation.
Einige der größten Erfolge Europas werden in Deutschland täglich und ganz selbstverständlich beansprucht, oftmals ohne dass wir uns wirklich darüber im Klaren sind:
Dauerhafter Frieden, eine starke Partnerschaft mit unseren Nachbarn und der Erhalt unserer Werte in einer globalisierten Welt.
Diese Verdienste der EU dürfen nicht vergessen werden, wenn man nach ihren Kosten fragt.
Kurzum: Die Europäische Union ist für Deutschland unverzichtbar.
Ihr Nutzen aber, der nicht für jeden immer greifbar und offensichtlich ist, muss ein ums andere Mal erklärt werden.
Hier, liebe Stipendiatinnen und Stipendiaten, baue ich auch auf Sie!
Europa ist ganz besonders Ihre Zukunft.
Es ist Ihr Arbeitsmarkt, Ihre Wirtschaftszone und Ihr Werte- und Kulturraum.
Deshalb sind Sie als Multiplikatoren wichtig.

Konkrete Themen der Zukunft – Erweiterung
Lassen Sie mich nun an ein paar exemplarischen Beispielen einen Ausblick in die Zukunft der EU wagen.
Wer über diese Zukunft spricht, kommt an einer Frage nicht vorbei:
Wo liegen die Grenzen der EU?
Sie liegen nicht an der Küste Nordafrikas, wie es der Landesvorsitzende der bayerischen SPD Ludwig Stiegler vor wenigen Wochen hier in Unterfranken öffentlich gefordert hat.
Sie liegen auch nicht an der Nordgrenze des Irak!
Und sie liegen nicht an den Ausläufern des Ural, meine Damen und Herren!
Sprechen wir über Bulgarien und Rumänien.
Vor ziemlich genau einem Jahr – am 13. April 2005 – habe ich im Europäischen Parlament gegen eine Aufnahme von Bulgarien und Rumänien im Jahr 2007 gestimmt.
Denn keines der beiden Länder erfüllt die Kriterien für einen EU-Beitritt.
Trotz großer Anstrengungen und auch gewisser Fortschritte bleiben die Reformen in diesen Staaten weit hinter den Erwartungen und Anforderungen zurück.
Korruption, organisierte Kriminalität und eklatante Verstöße gegen die grundlegensten Bürgerrechte sind dort mehr Regel als Ausnahme.
Gerichtsurteile, Richterposten und Beamtenstellen sind käuflich.
Viele Justiz- und Polizeimaßnahmen sind willkürlich.
Die Staatsfinanzen sind nicht solide.
Kurzum: Solche Staaten gehören nicht in die EU.
Das Europäische Parlament und die Kommission haben dies im letzten Jahr allerdings anders gesehen.
Eine Mehrheit aus Sozialisten, Grünen und Liberalen hat sich für die pünktliche Aufnahme beider Staaten im kommenden Jahr ausgesprochen.
Und das, obwohl wir im Rahmen der Beitrittsverträge die Möglichkeit hätten, eine Verlängerung des Kandidatenstatus zuerst einmal bis 2008 zu erzwingen.
Angesichts der großen Europakritik halte ich diese Entscheidung für äußerst fragwürdig.
Damit – das sage ich ganz deutlich, meine Damen und Herren – damit holen wir die Bürgerinnen und Bürger nicht mit ins Boot!
Es liegt nun aber bei den Mitgliedstaaten, den Beitritt von Bulgarien und Rumänien für 2007 zu ratifizieren.
Die Europaabgeordneten der Union werden insbesondere gegenüber der Großen Koalition in Berlin deutlich machen, dass wir aus dem Bundestag ein Votum für eine Verschiebung der Aufnahme erwarten.
Ich hoffe, dass wir dafür eine Mehrheit bekommen.
Denn die Europäische Union ist kein Straßenorchester, in dem jeder mitspielen darf, der ein Instrument besitzt.
Nein, wir brauchen Mitstreiter, die sich an die Vorgaben, Werte und Anforderungen halten, die unser stabiles Zusammenleben in Europa garantieren sollen.

Und damit kommen wir zu einem weiteren Beitrittskandidaten, dessen Aufnahme meiner Meinung nach diese Stabilität mit absoluter Sicherheit zerstören würde: die Türkei.
Die Türkei gehört nicht in die EU.
Europa hört geographisch am Bosporus auf.
Dieses Argument ist einleuchtend, schlagkräftig und bereits mehrere Jahrhunderte bekannt!
Meine Damen und Herren, die Türkei ist seit Jahrzehnten ein guter und verlässlicher Partner der Europäischen Union, der NATO, Deutschlands und Bayerns.
Aber dennoch trennen uns Geographie, Geschichte und auch Kultur.
Die Türkei erfüllt einfach nicht die Kriterien für eine Aufnahme in die EU.
Ich will Reformen sehen, die von innen kommen.
Reformen, die ernst gemeint sind.
Reformen, die länger halten als bis zum EU-Beitritt.
Wie es um die Reformwilligkeit der Türkei bestellt ist, das – meine Damen, meine Herren – das haben wir im letzten Jahr erst gesehen:
Als türkische Polizisten in Istanbul am Vorabend des Weltfrauentags eine friedliche Demonstration vor laufenden Kameras mit brutaler Gewalt aufgelöst haben.
63 Verhaftungen! Darunter 29 Frauen! Unzählige Menschen schwer verletzt.
Diese Menschen, die friedlich von ihrem Grundrecht auf Meinungsfreiheit Gebrauch gemacht haben – die am Vorabend des Weltfrauentages auf die Straße gegangen sind, um für die Rechte der Frauen zu demonstrieren – diese Menschen wurden niedergeprügelt und verhaftet.
Dennoch hat sich der Rat am 3. Oktober 2005 für die Aufnahme von Verhandlungen entschieden.
Wir – die CSU und die CDU – haben von Anfang an für eine andere Lösung gekämpft.
Wir wollen eine privilegierte Partnerschaft – eine Intensivierung der bereits bestehenden guten wirtschaftlichen und politischen Verbindungen zur Türkei.
Dies können wir der Türkei heute schon anbieten.
Keine Wartezeit von 15 Jahren bis zum Beitritt!
Das türkische Volk und auch die Europäische Union könnten heute schon von den Vorteilen einer solchen Lösung profitieren.
Warum darf eine Vollmitgliedschaft der Türkei nicht möglich sein?
Europa hat Werte.
Die Türkei hat auch Werte.
Aber diese Werte sind nicht kompatibel – das haben die Ereignisse am Weltfrauentag im letzten Jahr gezeigt.
Außerdem ist die Türkei ein islamischer Staat.
Der Islam ist eigentlich eine friedliche Religion.
In den Händen fanatischer Islamisten allerdings wird er zu einer unberechenbaren Waffe.
Das haben uns die terroristischen Anschläge der letzten Jahre gelehrt.
Diese Gefahr dürfen wir nicht unterschätzen.
Dieser Gefahr dürfen wir nicht Tür und Tor öffnen.
Diese Gefahr dürfen wir nicht einladen!
Auch die Aufnahmefähigkeit der EU ist begrenzt.
Und ein Beitritt der Türkei würde diese Fähigkeit überlasten!
Das Bruttoinlandsprodukt der Türkei ist miserabel!
Ein erheblicher Teil der türkischen Wirtschaft stützt sich auf den Agrarsektor.
Dies würde bei der aktuellen Förderpolitik der Europäischen Union bedeuten, dass Unsummen aus den Strukturfonds in die Türkei fließen müssten.
Geld, das an anderer Stelle fehlen würde.
Mit fast 70 Millionen Einwohnern wäre die Türkei zweitgrößter – bei der zu erwartenden demographischen Entwicklung irgendwann sogar bevölkerungsreichster – Mitgliedsstaat.
Dies würde bedeuten, dass die Türkei über kurz oder lang im Rat und im Parlament die meisten Stimmen hätte.
Das darf nicht sein!
Und schon deshalb ist eine Vollmitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union nicht möglich.
Meine Damen und Herren, zwei Dinge, die im vergangenen Jahr beschlossen wurden, werte ich als Teilerfolg unserer Anstrengungen.
Zum einen wurde in den Verhandlungskatalog mit der Türkei aufgenommen, dass am Ende des Prozesses nicht nur die Beitrittsfähigkeit der Türkei, sondern auch die Aufnahmefähigkeit der EU Maßgabe für einen erfolgreichen Beitritt sein werden.
Und zum anderen wurde auch im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD das Ziel eines privilegierten Verhältnisses der EU zur Türkei festgeschrieben.
Hier konnten wir unsere Zielvorstellung also durchsetzen.
Meine Damen und Herren, das Thema Grenzen der EU ist noch nicht abschließend behandelt.
Der Balkan, die Ukraine, Weißrußland, aber auch die Türkei brauchen eine verlässliche langfristige Perspektive.
Wir können uns nicht mehr von Erweiterung zu Erweiterung hangeln.
Dazu ist die Werteunion Europa zu wichtig für unser Zusammenleben.
Wir können und dürfen uns nicht zu Tode erweitern.
Wir brauchen eine ehrliche Debatte über dieses Thema.
Und wir müssen uns trauen, auch einmal NEIN zu sagen.
Ich fordere Sie – als die Vertreter der jungen Generation – auf, sich an dieser Debatte zu beteiligen!
Denn es ist Ihr Europa, für das wir heute die Weichen stellen und die Grundsteine legen.

Konkrete Themen der Zukunft – Verfassung
Egal jedoch, wie die äußere Gestalt der EU einmal aussehen wird – wir brauchen dringend eine innere Reform.
Abgesehen davon, dass der Vertrag von Nizza einen eindeutigen Auftrag für eine solche Reform enthält, wird die EU auf Dauer ohne eine solche Reform handlungsunfähig sein.
Der Verfassungsvertrag wäre der große Wurf gewesen.
Das muss ich in dieser Deutlichkeit sagen.
Er war und ist ein Kompromisswerk.
Natürlich.
Etwas anderes ist in einer Europäischen Union der 25 auch gar nicht mehr denkbar.
Der fehlende Gottesbezug war gerade auch für mich als bekennende Christin sehr schmerzhaft.
Dennoch habe ich nach reiflicher Überlegung dem Vertrag zugestimmt.
Denn er war ein sehr gutes Kompromisswerk – und ist es immer noch.
Es war wohl falsch, dem Vertrag den Titel Verfassung zu geben.
Das haben wir am Ende auch gemerkt.
Dieser Titel hat Ängste und Befürchtungen geschürt, die unbegründet und damit auch vermeidbar waren.
Nun haben wir eine sehr schwierige Situation.
Aber mit solchen Situationen war das Projekt EU schon öfter konfrontiert.
Ich erinnere nur an die Politik des leeren Stuhls unter Charles de Gaulle.
Oder an die wiederholten Anläufe zum Vertrag von Maastricht.
Europa hat bisher viele Klippen umschifft und wir werden auch diese – lassen Sie es mich bildhaft ausdrücken – Stromschnelle meistern.
Die Ablehnung des Verfassungsvertrags in Frankreich und den Niederlanden hat uns etwas ganz Wichtiges beschert:
Eine europäische Öffentlichkeit.
Das ist etwas Gutes.
Endlich haben die Menschen in der EU einmal länger als nur einige Tage über Europa diskutiert und gesprochen.
Das ist ein Fortschritt.
Doch warum halte ich den Verfassungsvertrag für den großen Wurf?
Warum möchte ich, dass wir an diesem Projekt festhalten und es mehrheitsfähig gestalten?
Ich möchte ein paar Aspekte herausgreifen und Ihnen verdeutlichen.

Eckpunkte der Verfassung:
Die Verfassung besteht aus vier Teilen:
Teil I enthält in 59 Artikeln die Bestimmungen über die Europäische Union an sich, d.h. Grundwerte und Ziele, Zuständigkeitsordnung, Organe der Union, Rechtsakte und Entscheidungsverfahren – Gesetzgebung und Ausführung –, Finanzen und Zugehörigkeit zur Union – einschließlich des neu aufgenommenen Austrittsrechts.
In Teil II wurde die Charta der Grundrechte der Europäischen Union eingearbeitet.
Der dritte Teil enthält die Regelungen über die Politikbereiche, in denen die Europäische Union tätig ist.
Teil IV besteht aus meist technischen Schlussbestimmungen.

Die Verfassung macht Europa für die Bürger verständlicher:
Endlich gibt es genaue Kompetenzgrundsätze:
Die EU darf nur dort handeln, wo die Mitgliedsstaaten ihre ausdrückliche Ermächtigung geben.
Europäische Regelungen sind dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unterworfen.
Die Geltung des Subsidiaritätsprinzips wurde deutlich bestätigt und gefestigt:
Die EU muss jetzt zwei Dinge kumulativ nachweisen, bevor sie gesetzgeberisch tätig wird: nämlich zum einen dass die Mitgliedsstaaten nicht ausreichend agieren und zum anderen dass die Europäische Union nachweislich besser handeln kann.
Zusätzlich wurde dem Ausschuss der Regionen und allen nationalen Gesetzgebungsorganen – und damit auch dem deutschen Bundesrat – eine Klagebefugnis zugestanden, damit das Subsidiaritätsprinzip auch effektiv kontrolliert werden kann!
Endlich gibt es auch eine genaue Kompetenzordnung:
Es wurden ausschließliche Kompetenzen der Europäischen Union festgelegt und solche, die sie mit den Mitgliedsstaaten teilt.
Außerdem gibt noch Bereiche, in denen die EU die Politiken der Mitgliedsstaaten unterstützen kann.
Die Verfassung betont zudem – stärker als die Verträge bisher – die wichtige Rolle der Regionen und Kommunen für die Europäische Union.
Dies kommt in einer Stärkung des Ausschusses der Regionen genauso zum Ausdruck wie in der Garantie der regionalen und kommunalen Selbstverwaltung.

Die Verfassung stärkt die Rechte der Bürgerinnen und Bürger:
Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist Bestandteil der Verfassung.
Bisher waren sie unverbindliche Handlungsgrundsätze und Selbstverpflichtung.
Jetzt sind sie Gesetz.
Es wird zudem eine europäische Bürgerinitiative eingeführt.
Damit können die Bürgerinnen und Bürger die Europäische Union direkt zum Handeln veranlassen.
Auch die Rolle des Europäischen Bürgerbeauftragten wird gefestigt.
Der Europäische Bürgerentscheid garantiert eine größere Volksnähe und Mitbestimmung in der Europäischen Union der Zukunft.

Die Verfassung macht die EU handlungsfähiger:
Das Prinzip der doppelten Mehrheit im Rat garantiert uns Handlungsfähigkeit auch mit 25, 27 oder mehr Mitgliedsstaaten.
Und der Einfluss der nationalen Regierungen wird dennoch ausreichend gewahrt!
Das war gerade uns von der Union besonders wichtig.
Das Prinzip der doppelten Mehrheit bedeutet im Einzelnen:
bei einfachen Abstimmungen ist eine Mehrheit der Mitgliedsstaaten + Mehrheit der EU-Bevölkerung erforderlich.
bei qualifizierten Abstimmungen müssen mindestens 55 % der Ratsmitglieder + mindestens 15 Mitgliedsstaaten + mindestens 65 % der EU-Bevölkerung dafür sein.
Der Verfassungsvertrag stärkt das Europäische Parlament!
Und das ist richtig, denn für ein starkes Europa brauchen wir ein starkes, handlungsfähiges Europäisches Parlament!
Das Europäische Parlament ist immerhin die einzige, direkt demokratisch legitimierte Institution der Europäischen Union!
Das Parlament hat sich von einer beratenden Versammlung zum gleichberechtigten Gesetzgebungspartner neben dem Rat entwickelt.
Diese positive Entwicklung führt der Verfassungsvertrag weiter:
Das Mitentscheidungsverfahren wird durch die Verfassung in den Rang des normalen Gesetzgebungsverfahrens erhoben.
Beim Mitentscheidungsverfahren ist das Europäische Parlament neben dem Rat gleichberechtigter Gesetzgeber.
Es kann Änderungen erzwingen oder auch unsinnige Gesetzesprojekte zu Fall bringen.
Das Europäische Parlament erhält in der Zukunft ein Veto-Recht für internationale Abkommen.
Die Haushaltsbefugnisse werden sich nunmehr auf alle Ausgaben der Union – und damit auch auf den überaus wichtigen Agrarsektor – erstrecken.
Die Möglichkeiten der politischen Kontrolle gegenüber der Kommission werden vertieft.
Das Parlament muss in Zukunft in Politikbereichen seine Zustimmung zu europäischen Maßnahmen geben, für die bisher der Rat das alleinige Entscheidungsrecht hatte.
Ein auch für Unterfranken bedeutendes Beispiel dafür ist der Agrarsektor; in Bereichen wie zum Beispiel der Zuckermarktordnung bekommt das Parlament dann ein Mitspracherecht.
All dies könnte den Eindruck erwecken, dass das Europäische Parlament bisher nicht stark genug wäre.
Dies ist jedoch vollkommen falsch!
Das Parlament ist stark!
Das haben wir eindrucksvoll bei der Wahl der Barroso-Kommission bewiesen!
Das haben wir zum Beispiel auch bei den Diskussionen um die Chemikalienpolitik REACH, bei der Hafendienstleistungsrichtlinie, Softwarepatentrichtlinie oder der Dienstleistungsrichtlinie bewiesen.
Bei all diesen Entscheidungen haben sich Kommission und Rat hinter dem Parlament versteckt.
Sie haben damit die Entscheidungsprärogative der europäischen Volksvertreter offen anerkannt.
Darin manifestiert sich die immer weiter fortschreitende Parlamentarisierung und Demokratisierung der Europäischen Institutionen.
Der Verfassungsvertrag weitet die Rechte des Parlaments darüber hinaus noch zusätzlich aus, damit der Wille der Bürgerinnen und Bürger noch besser als bisher Gehör findet.

Der Verfassungsentwurf bringt Innovation und mehr Transparenz:
Der Rat muss in Zukunft öffentlich tagen, wenn über Gesetze gesprochen wird.
Damit werden die Entscheidungswege und die Entscheidungsfindung für die Bürgerinnen und Bürger klarer.
Die Kommission wird ab 2014 verkleinert: Die Anzahl der Kommissare wird zwei Drittel der Anzahl der Mitgliedsstaaten betragen.
Durch Rotation werden eine gerechte Beteiligung aller Mitgliedsstaaten und gleichzeitig Handlungsfähigkeit gewährleistet.
Diese Änderungen sind auch notwendig, damit unser Europa der 25 entscheidungsfähig bleibt.

Die Verfassung stärkt Europas Rolle in der Welt
Der Verfassungsvertrag führt das Amt eines Europäischen Außenministers ein.
Dadurch verleiht die EU ihrem Anspruch, auch auf internationaler Bühne eine immer wichtigere Rolle zu spielen, mehr Gewicht und ein Gesicht.
Damit verbrieft die Europäische Union nun – und das immerhin auf Verfassungsebene – ihren Anspruch, in der internationalen Politik eine maßgebliche – eine Vorreiterrolle zu spielen.
Und dies ist richtig so, meine Damen und Herren.
Der Vertrag über eine Verfassung für Europa eröffnet der Europäischen Union nun – schwarz auf weiß – die Möglichkeit, die Aufgabe, die Rolle in der Welt zu spielen, die Europa zusteht.

Die Verfassung erhebt Europa zur Werteunion
Ich habe bereits gesagt, dass ich es als überzeugte Christin und als Mitglied der CSU bedaure, dass der Gottesbezug in der Präambel nicht durchgesetzt werden konnte.
Aber dennoch ist der Verfassungsentwurf ein klares Bekenntnis zu Europa als Werteunion.
Während in den Anfängen – mit Euratom und EGKS – die Entwicklung eines einheitlichen Wirtschaftsraums im Vordergrund stand, hat sich die EU in verstärktem Maße auch zu einem Werte- und Kulturraum entwickelt.
Diesem Fortschritt trägt der Verfassungsentwurf – wie ich meine – trotz fehlenden ausdrücklichen Gottesbezugs sehr gut Rechnung.
So wird in der Präambel auf das religiöse und humanistische Erbe Europas, auf Freiheit, Demokratie, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit sowie auf Frieden, Gerechtigkeit und Solidarität als unveräußerliche Werte Bezug genommen.
Und die christlichen Kirchen werden als wichtige Dialogpartner für eine werteorientierte europäische Politik genannt.
Durch diese Verfassung wird sich in Zukunft jeder Mitgliedsstaat – und selbstredend jede Nation, die ein solcher werden will – an diesen Werten messen lassen müssen, meine Damen und Herren.

Zusammenfassende Worte zur Verfassung
Abschließend lässt sich zusammenfassen, dass der Entwurf für eine Verfassung für Europa einen Quantensprung in der Entwicklung der Europäischen Union darstellt.
Denn dieser Vertrag vereint in gleichem Maße Tradition und Innovation, Verantwortungsbewusstsein und Ehrgeiz, Bewährtes und Zukunftsweisendes, Altes und Neues.
Diese Verfassung könnte das Fundament eines mächtigen Europas werden.
Aus diesen Gründen bedauere ich die Rückschläge des vergangenen Jahres.
Auf der anderen Seite bin ich davon überzeugt, dass das Projekt „Verfassungsvertrag“ durch seine Qualität und seine Inhalte mittelfristig mehrheitsfähig und damit die zukünftige Grundlage der EU sein wird.
Dafür setze ich mich persönlich als Unterfränkin in Europa und als Mitglied des Europäischen Parlaments ein!

Konkrete Themen der Zukunft – Einzelne Politikbereiche
Doch es sind nicht nur die ganz großen Themen wie Erweiterung oder Verfassung, die die Europäische Union zu Beginn des 21. Jahrhunderts beschäftigen.
Herausforderungen wie der demographische Wandel, die fortschreitende Globalisierung, der globale Wettbewerb um Ressourcen, der Klimawandel, die Gefahr durch Terrorismus und die Leistungsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft sind nur einige Schlagworte, die das Aufgabenspektrum der EU kennzeichnen.
Die innere und äußere Organisation der EU sind wichtig.
Wichtig ist aber auch, dass wir in allen europäischen Politikfeldern eine gute, nachhaltige und zukunftsorientierte Politik zu machen.

Energiepolitik
Und dazu gehört für ich persönlich mittelfristig ein ganz wichtiger Bereich: die Energiepolitik.
Ich muss schon zugeben, dass ich einigermaßen enttäuscht bin über die Ergebnisse des letzten Gipfels.
Man konnte sich nicht auf weitere Kompetenzen der EU im Energiebereich einigen, obwohl kleine Fortschritte erzielt wurden.
Die EU regelt viele Dinge, bei denen man durchaus fragen könnte, ob eine europäische Regelung lebensnotwendig sei.
Aber im Energiebereich wäre eine gemeinsame europäische Politik lebensnotwendig – zumindest auf längere Sicht.
Hier muss ein Umdenken in den Nationalstaaten stattfinden.
Davon bin ich überzeugt.
Die EU versucht, über den Bereich der Umweltschutz- und Klimapolitik Einfluss auf die Energiepolitiken der einzelnen Mitgliedstaaten zu nehmen.
Aber ohne eine Energiekompetenz wird dies letztlich nur Stückwerk bleiben.
Ich kann und möchte an dieser Stelle nur ein paar Politikansätze stichpunktartig anführen.
Gerne gehe ich im Rahmen der Diskussion noch näher auf einzelne Punkte von Interesse ein.
Die EU fördert die Reduzierung des CO2-Ausstoßes durch Emissionszertifikate.
Sie fördert den Ausbau der Biomassenutzung und anderer erneuerbarer Energien.
Sie erlässt Regelungen zur Verringerung von klimaverändernden Gasen im Allgemeinen.
Und einiges mehr.

Umwelt- und Gesundheitsschutz
Nachhaltige Politik bedeutet auch in anderen Bereichen ein Umdenken.
Europäische Regelungen müssen von vornherein mehr als nur einen Ansatz vereinen.
Gerade in den Bereichen Gesundheit, Umwelt und Soziales hatte man in der Vergangenheit häufig immer nur ein einziges Ziel – zum Beispiel den Gesundheitsschutz, den Umweltschutz oder die Erhöhung der Sozialstandards – vor Augen.
Völlig vergessen wurden dabei oft die Auswirkungen in der Verwaltung, die Bürokratie und die Kosten für Staat, Wirtschaft und Bürger.
Wir müssen uns angewöhnen, diese Ansätze alle zu verbinden.
In der Umwelt- und Gesundheitspolitik haben wir dazu bereits wichtige Fortschritte in den Köpfen der Entscheidungsträger erringen können.
Herausragendes Beispiel dafür sind die Beschlüsse der ersten Lesung zur neuen EU-Chemikalienpolitik REACH.
Dabei geht es um die Erfassung, Bewertung und Registrierung aller in der EU verwendeten chemischen Stoffe.
Ziel ist es, mittel- bis langfristig Umwelt- und Gesundheitsbelastungen zu reduzieren, wenn man mehr Informationen über die vorhandenen Stoffe hat.
Das ist das richtige Ziel.
Der Weg, zu diesem Ziel zu gelangen, war aber am Anfang wieder einmal ein falscher.
Der Ansatz hieß: Die Stoffe, die in der größten Menge hergestellt oder importiert werden, müssen als erste und mit den meisten Tests – gleichbedeutend mit den höchsten Kosten – registriert werden.
Aber das ist unsinnig.
Das hätte zur Folge, dass die allseits bekannte und völlig ungefährliche Kochsalzlösung als einer der ersten Stoffe hätte registriert werden müssen.
Das ist nicht im Sinne des Erfinders!
Mein Ansatz war es, eine Priorisierung anhand von Verwendungs- und Expositionskategorien einzuführen.
Das hätte bedeutet: Schnelle Registrierung und viele Tests bei Stoffen mit hohem Gefährdungspotential und mit hohem Verbraucherkontakt.
Damit wäre meiner Meinung nach sogar ein noch besserer Gesundheitsschutz möglich.
Ich bin froh, dass sich dieser Ansatz zumindest in großen Teilen durchsetzen ließ.
Er bedeutet neben dem höheren Verbraucherschutzniveau auch Einsparungen für die Unternehmen.
Gerade hier in Unterfranken konnten wir durch diesen Ansatz eine Reihe von Unternehmensstandorten und damit Arbeitsplätze sichern.
Auch wenn diese Aussage an einigen Stellen bereits kritisiert wurde: Es gibt nun mal nichts Sozialeres als einen Arbeitsplatz.
Daran müssen wir uns stets erinnern, meine Damen und Herren.

Dienstleistungsrichtlinie
Und bei dem Stichwort Arbeitsplätze komme ich zu einem weiteren – in den vergangenen Monaten heiß diskutierten – Thema: Die Dienstleistungsrichtlinie.
Wenn wir über die Zukunft der EU sprechen wollen.
Wenn wir Europa nicht nur zu Beginn des 21. Jahrhunderts, sondern auch im 21. Jahrhundert sehen wollen.
Dann müssen wir uns abgewöhnen, bei allem Neuen Ach und Weh zu schreien und nur das Risiko zu sehen.
Gerade wir Deutschen müssen lernen, in neuen Entwicklungen unsere Chance und nicht die Gefahr zu sehen.
So war es bei der Dienstleistungsrichtlinie.
Was wurde über diesen Entwurf alles Falsches geschrieben!?
Sie würden es nicht glauben.
Volksverdummung – so nenne ich das, was da der eine oder andere in der Öffentlichkeit betrieben hat, meine Damen und Herren.
Worum geht es denn eigentlich?
Es geht darum, die Dienstleistungsfreiheit, die es ja eh schon durch den EG-Vertrag gibt, in geordnete Bahnen zu lenken.
Dazu solle eine Richtlinie erlassen werden, die mit der aktuellen Rechtsunsicherheit aufräumt.
Es sollte in Zukunft für Dienstleistungen dasselbe gelten, was im Binnenmarkt für Waren seit Jahren schon gilt: der ungehinderte grenzüberschreitende Austausch.
Der EU-Binnenmarkt für Waren hat Deutschland zum Exportweltmeister gemacht!
Ein EU-Binnenmarkt für Dienstleistungen könnte in diesem Sektor den gleichen Effekt haben.
Denn die deutsche Dienstleistungswirtschaft ist stark.
Wir sind besser als die anderen!
Dienstleistungen erwirtschaften 79 % unseres Bruttoinlandsprodukts, sind aber nur mit 17 % am Export beteiligt.
Grund dafür ist: Viele Länder schotten ihre Märkte gegen uns ab.
Unser liberales Gewerberecht dagegen – ich erinnere da nur an den von Rot-Grün gelockerten Meisterzwang in über 50 Handwerks-
berufen – lässt ausländische Dienstleister fast ohne Hindernisse auf unseren Markt.
Dadurch werden wir zum Nettoimporteur für Dienstleistungen!
Diese Ungerechtigkeit soll die Dienstleistungsrichtlinie aufheben.
Gleiche Chancen durch gleiche Regeln für alle – so heißt die Devise!
600.000 neue Arbeitsplätze – über 100.000 davon in Deutschland – sollten nach Gutachten von Experten durch die Richtlinie entstehen!
Ein Lohn- oder Sozialdumping – die größte Befürchtung in Westeuropa – war dagegen niemals vorgezeichnet.
Dazu gab es bereits im ursprünglichen Richtlinienentwurf eine Reihe von Sicherheitsmechanismen.
Aufgrund der – teilweise völlig überzogenen – kritischen Äußerungen einer Reihe von Gesellschaftsgruppen haben wir eine Reihe von Verbesserungen am Text der Richtlinie vorgenommen.
Vielleicht haben Sie auch mitbekommen, dass sich der Deutsche Gewerkschaftsbund sogar erdreistet hat, vor meinem Privatwohnsitz mit 300 Mann aufzulaufen und zu demonstrieren.
Und das, obwohl die Organisatoren bereits vor der Planung der Demo wussten, dass ich zu diesem Zeitpunkt in Brüssel sein würde.
Im Ergebnis konnten wirklich letztendlich alle Interessen und vor allem jede Kritik und alle begründeten Ängste aufgenommen werden.
Ich persönlich muss sagen, dass von der ursprünglichen Richtlinie nicht mehr viel übrig geblieben ist. Mir gingen die Zugeständnisse an die Sozialromantiker und Bewahrer zu weit.
Aber insgesamt dürfen wir dennoch auf Impulse im Dienstleistungssektor hoffen, auch wenn diese nun nicht mehr so bedeutend ausfallen werden, wie anfangs prognostiziert.
Deutschland wird in jedem Falle profitieren. Deshalb habe ich den Kompromiss, der am Ende zur Abstimmung stand auch mitgetragen.
Ein erster Schritt in die richtige Richtung – aber weitere müssen folgen, wenn wir wettbewerbsfähig bleiben wollen.

Abschluss
Sie sehen, meine Damen und Herren, dass das Europäische Parlament und die Europäische Union mit großen Schritten auch im 21. Jahrhundert unterwegs sind.
Drei ganz wichtige Punkte möchte ich Ihnen und mir noch als Zusammenfassung mit auf den Weg geben für unser Europa der Zukunft.
Erstens: Nicht jedes Problem in Europa bedeutet eine Aufgabe für die EU!
Zweitens: Wir können Europa nur gemeinsam – das heißt Politik und Bürger sowie Staaten und Völker untereinander – positiv gestalten!
Und drittens: Einzig in Europa liegt unsere Zukunft!
Mit Ihrer Anwesenheit heute abend zeigen Sie, dass Sie dies bereits erkannt haben.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich nun auf eine spannende Diskussion mit Ihnen.
Vielen Dank!