"Quo vadis Europa" - Auf dem Weg zur politischen Union. Vision oder Wirklichkeit?

Sehr geehrte Damen und Herren.
Es ist für mich ein große Ehre, in der Julius-Maximilians-Universität Würzburg sprechen zu dürfen, weil ich selbst hier studiert habe.
Ich kann mich noch gut erinnern, wie es war, als ich  vor knapp zehn Jahren in dieser Aula meine erste Vorlesung hatte.
Schöne Zeit, die ich nicht missen möchte!
Hier herrschen exzellente Studienbedingungen!
Sowohl Universität, als auch die Universitätsstadt WÜ haben genau die richtige Größe, es ist wirklich ein sehr angenehmes Klima an  dieser Uni!
Und gerade weil ich so überzeugt von der Uni hier in Würzburg bin und auch weil ich sehr gerne hier an der juristischen Fakultät studiert habe, bin ich auch eine überzeugte Alumna geworden und möchte die Universität, wo es geht, unterstützen!
Gerade als Europapolitikerin finde ich es natürlich auch hervorragend, dass die Universität Würzburg auch den Aufbaustudiengang „Europäisches Recht“anbietet!
Damit die Europäische Union ein Erfolgsprojekt bleibt, brauchen wir gerade junge Leute, die vertiefte Kenntnisse über Europa und seine Institutionen haben und an Europa mitbauen!

"Quo vadis, Europa - auf dem Weg zur politischen Union.
Vision und Wirklichkeit" - dieser Gedanke steht über meiner heutigen Rede.
Und ich bin froh Ihnen heute meine Überlegungen dazu mit auf den Weg geben zu dürfen, denn es kommt nicht allzu häufig vor, dass ich von Veranstaltern gebeten werde, über europäische Visionen zu sprechen.
Dafür interessieren sich normalerweise nur „Berufseuropäer“.
Für die meisten Bürger ist die EU weit entfernt.
Doch es ist richtig und wichtig, sich ab und zu der Vision eines geeinten Europa zu erinnern, um den richtigen Blickwinkel auf das europapolitische Tagesgeschehen zu behalten und, gerade angesichts der vielen
alltäglichen Aufgabenbereiche und Entscheidungen, die innerhalb der EU
getroffen werden, den Blick auf das Ganze, die Grundidee, nicht zu verlieren.
Dies erscheint umso wichtiger, als wir jetzt an einem historischen Wendepunkt in der Geschichte der Europäischen Union stehen.
Wir stehen jetzt vor der grundlegenden Frage, ob man die Europäische Union bis in ihren Kern neu bauen, neu errichten wolle oder ob man die Handlungsfähigkeit des supranationalen Konstrukts der EU endgültig gefährde.
Das ist übrigens eine Frage, die auch mit der Thematik weitere Erweiterung und wo sind dieGrenzen Europas eng zusammenhängt.
Aber darauf werde ich später nocheingehen!

Es freut mich sehr, dass Sie, die Studierenden und Lehrenden der Universität Würzburg sich für dieses zentrale Thema interessieren und gemeinsam fragen: Quo vadis, Europa?
Beim Blick in diese große Runde bin ich mir ziemlich sicher, dass viele von Ihnen ihr ganz eigenes Bild vom Europa der Zukunft, ihre ganz speziellen Vorschläge zur europäischen "road map"haben werden.
Und das ist gut so, das ist die Grundlage eines konstruktiven Diskurses, eines Dialogs, der europäische Politik in ihren Eckpfeilern so einzigartig, dynamisch und interessant macht.
Gerade die Bildungselite unseres Landes ist – heute wie vor 50 Jahren – aufgefordert, die europäische Dimension unserer Identität zu diskutieren
und den gesellschaftlichen Dialog darüber voranzutreiben.
Auch das Europa des 21. Jahrhunderts, das Europa der 25, braucht viele Visionäre, Denker und Macher, die sich der Grundidee widmen, sie immer wieder aufs neue reflektieren und weiter entwickeln.
Dies wird umso klarer, frägt man heute in den Fußgängerzonen und Einkaufspassagen die Menschen nach Ihrer Einstellung zu Europa, nach ihrem Gefühl für europäische Identität.
Und die Antwort wird wohl, kann nur „zwiespältig“ lauten.
Altbundespräsident Roman Herzog hat einmal gesagt:
"Wir Europäer müssen uns doch bewusst werden, dass der Gedanke der Demokratie untrennbar mit dem Namen Europas verbunden ist. [...] Demokratie beginnt bei  den Menschenrechten. Menschenrechte sind die Grundlage dessen, was wir als europäische Wertegemeinschaft betrachten."
Dieses grundlegende und für unser Leben elementar wichtige Bekenntnis der EU zur Demokratie aber bleibt meistens im Alltag unentdeckt.
Stattdessen prägt die alltägliche Politik der EU unser aller Lebensbedingungen in entscheidendem Maße und ist Teil unseres Alltags geworden.
Wir sind uns dessen nur nicht bewusst!
Ich möchte Ihnen/ Euch nur drei Beispiele nennen, die für Studenten und Verbraucher besonders interessant sind:
Wenn Sie, die Studierenden der Uni Würzburg, ein Auslandssemester planen, werden Sie damit fast willkürlich auf den Namen Erasmus stoßen.
Dieses nahezu allgegenwärtige EU-Programm hat das Ziel, die Zusammenarbeit von Hochschulen innerhalb der EU sowie die Mobilität von  Studierenden und Dozierenden zu fördern.
Es ist Teil des Sokrates-Programms, das neben Hochschulbildung auch Schul- und Erwachsenenbildung fördert.
Das Programm ist nach Erasmus von Rotterdam, bis Ende des 19. Jahrhunderts einer der einflussreichsten Humanisten Europas, benannt.
Zentraler Bestandteil sind die Anerkennung von Studienleistungen im Ausland anhand des European Credit Transfer Systems (ECTS) Austauschstudierenden.
Dies ist ein Beispiel dafür, wie sich Europa auf sie als Studenten auswirkt.
Ein anderes Beispiel ist der Bologna-Prozess, wodurch wir – wie Sie alle wissen – einen europäischen Bildungsraum und ein System leicht verständlicher und vergleichbarer Abschlüsse in ganz Europa schaffen wollen!
Ein Projekt, der die Ziele des Bologna-Prozesses mit Leben erfüllt, haben wir im Dezember letzten Jahres verabschiedet!

Seit 1. Januar diesen Jahres gibt es den sogenannten Europass für berufliche Bildung.
In schickem europablau gehalten und einem Reisepass nachempfunden, soll er helfen, um Qualifikationen und Kompetenzen europaweit leichter ausweisen und - etwa bei Prüfungen und Bewerbungen - präsentieren zu können.
Dadurch wird die Mobilität von Studierenden, Auszubildenden und Arbeitnehmern innerhalb der EU deutlich erleichtert.
Tagtäglich begegnet und begleitet uns die Politik der Europäischen Union in unseren Haushalten.
Ebenfalls tagtäglich in unseren Händen halten wir den Euro, eines der jüngsten und bekanntesten Symbole unseres gemeinsamen Binnenmarktes.
Darüber hinaus aber hat es beispielsweise das Europäische Parlament erreicht, die Kosten für Überweisungen in andere Länder der Eurozone von zunächst horrenden Höhen verpflichtend auf das Niveau der innernationalen Überweisungen zu senken.
Außerdem haben die meisten von Ihnen wahrscheinlich den EU-Führerschein in der Tasche.
Ich möchte noch zwei Beispiele aus den Schwerpunktbereichen meiner Tätigkeiten im Europäischen Parlament nennen:
Ich bin Mitglied im Ausschuss für Umwelt, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit und im Ausschuss für Soziale Sicherheit und Beschäftigung.
Im Umweltausschuss diskutieren wir eine Vorlage der Kommission zu sog. „Health claimes“ – nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben auf Lebensmitteln.
Gerade zur Bekämpfung von Adipositas, der Fettleibigkeit von Kindern, wäre es förderlich, wenn auf jedem Lebensmittel in Deutschland genau stehen würde, wie viel Fett und wie viel Zucker es enthält.

Als Mitglied im Sozialausschuss arbeite ich gerade an einer Novelle der Arbeitszeit-RL!
EuGH hat am 9.12.2003 ein Urteil gefällt, nach dem Bereitschaftsdienst, der an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort geleistet wird, in vollem Umfang als Arbeitszeit anzusehen ist.
Diese Rechtsprechung wurde durch die Änderung des deutschen Arbeitszeitgesetz in deutsches Recht umgesetzt.
Wenn dies so in die Praxis so kommen würde, kämen auf den Krankenhaussektor bis zu 1,7 Mrd. Euro jährlich Mehrkosten zu und es müssten 20 000 bis 27 000 mehr Ärzte eingestellt werden, die auf dem Arbeitsmarkt gar nicht vorhanden sind.
Die Europäische Union arbeitet momentan an einer Revision der Arbeitszeitrichtlinie, um die Folgen des EuGH-Urteils abzumildern und eine –sowohl für die Ärzte und Krankenschwestern, als auch für die Krankenhausverwaltung, faire Lösung zu erarbeiten.
Diese Lösung könnte darin bestehen, nur die aktive Bereitschaftsdienstzeit als Arbeitszeit anzusehen.
Die Liste der Beispiele, wie sich Europa auf uns ganz konkret auswirkt, ließe sich beliebig fortsetzen.

Ich habe jetzt etwas weiter ausgeholt, aber ich denke, dass es vor allem, wenn man sich die Frage stellt, „Quo vadis Europa“, ganz wichtig ist, zu sehen, was der status quo ist und welche Bedeutung die Europäische Union jetzt für uns bereits schon hat.
Wie wir an den Beispielen gesehen haben, wirkt sich nahezu alles, was in Brüssel, Luxemburg und Straßburg beschlossen wird, direkt auf das Leben der Menschen in den Mitgliedstaaten aus.
Experten schätzen, dass heute 70 % des deutschen Rechts auf EU-Recht zurückzuführen sind.
Und das Europäische Parlament hat kräftigen Einfluss auf diese Entscheidungen.
Wie sie sicher alle wissen, gilt sehr oft das Mitentscheidungsverfahren, d. h. wir sind als Parlament gleichberechtigter Gesetzgeber neben Kommission und Rat!
Durch den Verfassungsvertrag sollen die Rechte des Parlaments ja auch noch weiter ausgedehnt werden, so dass wir auch in Bereichen, in den wir bis jetzt nur mit beraten konnten, mehr Rechte bekommen, wie z. B. in der Agrarpolitik!
Der Verfassungsvertrag ist damit auch ein ganz wichtiger Schritt in Richtung noch mehr Demokratie auf europäischer Ebene!
Aber dazu später mehr!

Nun zurück zur Frage „Quo vadis Europa?“!
Wo wollen wir hin in Europa?
Gerade weil Europa so wichtig ist und – wie ich gerade an ein paar Beispielen festgemacht habe – sich jetzt schon so auf unser Leben auswirkt, muss es noch mehr ein Europa der Bürger werden!
Wir müssen die Menschen erreichen und sie mitnehmen!
Und da gilt es z. B. das Ziel der Lissabon-Strategie, die Richtlinien und Verordnungen der EU mittelfristig um 25 % zu reduzieren, ernst zu nehmen!
Und ich sehe es als meine Aufgabe als Abgeordnete an, dass wir bei jeder neuen RL und VO erst einmal draufschauen, welche Auswirkungen diese auf unsere Wirtschaft, auf unsere Bürger, auf unsere Verwaltung hat!
Als Europaabgeordnete versuche ich natürlich mit aller Kraft dem Desinteresse der Menschen an europäischer Politik entgegenzuwirken.
Ein Europa der Bürgerinnen und Bürger - das ist eine meiner Visionen für die Zukunft und dem entsprechend präsent will ich auch im Wahlkreis sein.
Europapolitikerin sein, das ist für mich eine Berufung, der ich  mich – nach Sportler-Manier – voll und ganz widme.
Ich denke, das Wichtigste für die Zukunft ist, Europapolitik auf die Region herunter zu brechen und vor Ort greifbar zu machen.
Deshalb habe ich ein Vier-Säulen-Modell für die Wahlkreisarbeit entwickelt, die vor allem auch auf Überparteilichkeit baut.
Das Modell:
Bürgerbüro und Bürgersprechstunden
AG Europa
Förderoffensive für Unterfranken: Gespräch mit Dr. Schmid von der Abteilung für Wissenschaftsförderung und heute morgen mit Professoren, die Erfahrungen 
mit Fördergeldern sammeln konnten.
Plattform für Unterfranken in Brüssel

Generell möchte ich zusammenfassen: Problem europäischer Politik sind nicht ihre Themen, davon gibt es mehr als genug – und die beachtliche Zahl von 44 Sitzungswochen im Jahr (gegenüber 21 Sitzungswochen des Bundestages) sowie mehr als 10.000 akkreditierten Interessensvertretern bei der EU zeigt, wie entscheidend unsere  Arbeit in Brüssel und Straßburg ist.
Was vielen Menschen fehlt, ist das "Gesicht Europas".
Man identifiziert sich noch nicht so mit Europa, viele Menschen sehen sich nicht in erster Linie als Europäer!
Es gibt ja auch den Spruch von Strauß: „Bayern ist unsere Heimat, Deutschland ist unser Vaterland und Europa ist die Zukunft.“
Das drückt genau aus, dass wir zwar schon erkennen, dass Europa für die Zukunft wichtig ist, aber unser Herz schlägt noch nicht für Europa, zumindest nicht in der Gegenwart.
Wenn man Europapolitik nicht auf die Region herunter bricht, ist sie auch schwer vermittelbar und in den Medien wird – außer, wenn wir wirklich über zentrale Fragen abstimmen, wie die Türkeifrage oder den Verfassungsvertrag –z. B. im Vergleich zum Bundestag nur sehr spärlich berichtet.
Das liegt vielleicht daran, dass die klassischen Konfrontationslinien fehlen!
Wir haben keinen Kanzler, sondern einen Kommissionspräsidenten.
Wir haben zwar nationenübergreifende Fraktionen im Plenum – aber keine Regierungsmehrheit contra Opposition.
Kommission und Parlament stehen sich gegenüber.
Wie sie sicher alle wissen, ist es nicht so, dass die Mehrheit im Parlament die Kommission stützt und dann nur Kandidaten dieser Mehrheitskoalition   Kommissionsmitglieder werden.
Die Kommissare kommen von allen politischen Parteien und  werden von den Mitgliedsländern vorgeschlagen.
Es ist ja auch in Art. 26 Abs. 1 des neuen Verfassungsvertrages vorgesehen: „Unter Berücksichtigung der Wahlen zum Europäischen Parlament schlägt der 
Europäische Rat diesem im Anschluss an entsprechende Konsultationen mit qualifizierter Mehrheit einen Kandidaten für das Amt des Präsidenten der Kommission vor.“
D.h. bei der nächsten Wahl benennen die Parteien ihren "Kommissionpräsidentenkandidaten“, Analogie zum „Kanzlerkandidaten“ evtl.   schon vor der Wahl und der Wahlkampf wird vielleicht schon viel personalisierter und dadurch evtl. greifbarer.
Insgesamt ist unser System aber auch dann noch viel mehr auf Entscheidung in der Sache und auf eine Meinungsbildung ausgerichtet, die von Anfang an auf den Kompromiss baut.
Das alles ist sehr praktisch und sehr modern - aber es fehlt die öffentliche Reibungsfläche, es fehlt an konkreter Positionierung und Diskussion europäischer Themen in der breiten Öffentlichkeit.
Dennoch: Ob in der Umweltpolitik oder auf internationaler Ebene – die große Mehrheit der Bürger unterstützt europäische Lösungen und eine handlungsfähige EU.
Sie hat sich an die Vorteile gewöhnt.
Und im politischen Bewusstsein genießt die europäische Einigung als Grundpfeiler deutscher Politik seit dem Zweiten Weltkrieg eine breite Zustimmung.

Quo vadis Europa – wohin? Diese Frage steht im Mittelpunkt meiner Ausführungen.
Wie ich bereits erwähnt habe, muss der, der nach vorne blickt, zunächst wissen, wo er steht.
Die Frage, wie wichtig Europa jetzt schon ist, haben wir bereits beleuchtet.
Lassen Sie uns jetzt einen Blick auf das Jahr 2004 werfen - für viele Experten das Jahr der Entscheidung für Europa und die Europäische Union, verbunden mit einer Vielzahl historischer Entscheidungen.
An erster Stelle dieser historischen Schritte stand die Erweiterung der Europäischen Union am 1. Mai 2004 um zehn mittel- und osteuropäische Staaten.
Europa hat darin die einst starre Teilung in West- und Weltkrieges geglättet und damit eine Vision der europäischen Ostblock überwunden, es hat die blutigen Wunden des zweiten Gründerväter Wahrheit werden lassen: Die Wiedervereinigung unseres Kontinents.
Über Jahrzehnte hinweg war die Europäische Gemeinschaft getragen von diesem Ziel, unsere Wertegemeinschaft für Frieden, Freiheit, Demokratie und Wohlstand weiter zu entwickeln und andere Staaten von dieser Idee zu überzeugen.
Möglich gemacht haben den Wandel - und auch das muss man an dieser Stelle ganz klar sagen - die Menschen in den Staaten des ehemaligen Ostblocks.
Ich denke unter anderem an Lech Walesa, der zusammen mit vielen anderen mutigen Polen in Danzig eine gesellschaftspolitische Welle losgetreten hat, die die friedliche Revolution in möglich gemacht hat.
Ich denke aber auch an Persönlichkeiten wie Helmut Kohl und Michael Gorbatschow, deren Friedenspolitik und Händedruck zwischen Ost und West die Wiedervereinigung unseres Landes möglich gemacht, der den Fall des eisernen Vorhangs weiter beschleunigt und damit den Menschen der anderen
Ostblockstaaten Mut gemacht hat.
Gerade im Zuge dieser Erweiterung aber befürchten viele Menschen, die auf Deutschland zukommenden Kosten, Betriebsverlagerungen und einen Anstieg
der Kriminalität.
Nach Meinungsumfragen hat die Akzeptanz der EU unter der Osterweiterung zusätzlich gelitten.
Ist die europäische Vision, die Vision der politischen Union, also tot?
Ich denke, sie ist es nicht.
Gerade die Erweiterung der EU am 1. Mai diesen Jahres bestätigt ihre Gültigkeit.
Die Erweiterung zeigt aber gleichzeitig, dass eine Vision allein nicht ausreicht für die Politik.
Auch die politische Praxis und die Zahlen müssen stimmen, wenn die EU ein Erfolgsmodell bleiben soll.
Und wenn sie es schaffen soll, die Unterstützung der Bürger zu gewinnen.
Bezüglich der Osterweiterung ist es z. B. wichtig, den Menschen mitzugeben, dass sie für das Export-Land Deutschland auch enorme Chancen mit sich bringt, die genutzt werden müssen!
Und bezüglich der drohenden Betriebsverlagerungen haben wir z. B. im Europäischen Parlament beschlossen, dass ein Betrieb, der lediglich Arbeitsplätze aus Deutschland in die neuen EU-Mitgliedsländer verlagert, ohne unterm Strich neue Arbeitsplätze zu schaffen, dass der Unternehmer, der – gezwungen durch die Mischkalkulation – auch wegen der niedrigeren Betriebskosten, dahin verlagert – dass der Unternehmer dann keine Fördergelder dafür bekommt.
Das führt nämlich sonst dazu, dass Länder wie Polen, Tschechien, etc. Betriebe mit ihren niedrigen Steuern anziehen und dass die Betriebe dann die Fördergelder erhalten, die vor allem durch Deutschland als dem größten Nettozahler finanziert werden und das zur Verlagerung von Arbeitsplätzen aus Deutschland heraus!

Das Ziel, die Bürger mitzunehmen jetzt in das neue wiedervereinte Europa“, das ist das große Potential von Europa, fast möchte ich sagen, der große mögliche Zauber der Europäischen Union.
Dem entsprechend ist es, so denke ich, immens wichtig, sich der historischen Bedeutung des Schrittes der Erweiterung bewusst zu werden und sich immer wieder vor Augen zu führen, was in kurzer Zeit möglich geworden ist.
Diese positive Entwicklung der Erweiterung ist aber in der Tat eine große Herausforderung für die EU und ihre Menschen - und ich meine das nicht  einmal in erster Linie wirtschaftlich, nein, rein menschlich.
Wir sprechen immer wieder von der europäischen Identität, die es bei manchen gibt, bei vielen nicht -  und die doch so notwendig wäre, um ein verbindendes Element zu haben und zu schaffen.
Diese Identität aber ist auf die Probe gestellt, wenn die Union sich erweitert oder aber sich vertieft, ohne die Menschen mitzunehmen auf diesen Weg.
Die Probleme der Vertiefung, der Integration, gilt es im Folgenden noch zu diskutieren.
Zuvor jedoch eine kurze Bemerkung zur Gefahr einer ständigen Erweiterung.
Die EU muss bei allen noch anstehenden Aufnahmen vor allem ehrlich zu sich selber sein.
Unsere neue Union der 25 ist ein junges Konstrukt, wirtschaftlich auf Bergtour und politisch noch immer in seinen Kinderschuhen.

Integration gestalten, das heißt auch: Hausaufgaben machen und left overs abarbeiten, denn: war die Entwicklung des europäischen  Gemeinschaftsprojektes auf lange Sicht  gesehen schon immer eine sich, mal mehr, mal weniger schnell entwickelnde Erfolgsstory, so haben die jüngsten
Entwicklungen diesen Prozess entscheidend gekrönt.
Robert Schuman hat aber einmal gesagt: "Europa kann man nicht auf einen Schlag schaffen, es entsteht Schritt für Schritt - durch Taten".
Und in der Tat hat sich die Union durch das Umsetzen konkreter Ideen und Visionen in den vergangenen zehn Jahren von einer erfolgreichen Wirtschaftsgemeinschaft - der gemeinsame Binnenmarkt wird in diesem Jahr 12 Jahre alt - zu einer mehr und mehr gefestigten und institutionalisierten  politischen Einheit entwickelt.
Ein Weg, der in den vergangenen beiden Jahren markiert war durch die Meilensteine des Europäischen Konvents und des Verfassungsvertrages.
Erst vor wenigen Tagen hat das Europäische Parlament diesen verrfassungsvertrag mit überwältigenden Mehrheit angenommen und damit ein klares Zeichen für die noch ausstehenden Abstimmungen und Referenden in 23 der 25 Staaten gesetzt.
Es war für uns alle, die wir im Plenum saßen, ein historischer Moment!
Und ich bin froh und bewegt darüber, diesen Schritt aktiv miterlebt und mit meinem Handzeichen auch ein klein wenig mitbestimmt zu haben.
Ich hab bezüglich des Verfassungsvertrages aber auch ein lachendes und ein weinendes Auge: Problem Gottesbezug in der Verfassung!
Ich bin mir zusammen mit meinen Kolleginnen und Kollegen auch der großen Herausforderung dieses Projektes bewusst.
Und ich möchte an dieser Stelle ganz klar mein Ja zum Verfassungsvertrag zum Ausdruck bringen.
Das vorliegende Werk ist nicht absolut perfekt.
Aber: Es markiert den wohl bedeutendsten und umfassendsten Schritt, den die europäische Gemeinschaft seit ihrer Begründung in den Römischen Verträgen gemacht hat.
Mir ist aber auch klar, dass der im Konvent geleistete Prozess der Verfassungsfindung trotz seines äußerst positiven und erfolgreichen Ansatzes längst nicht die breite Öffentlichkeit erreicht hat, die er hätte erreichen sollen.
Stellen wir uns einmal vor, Deutschland gäbe sich ein neues Grundgesetz und würde darin das gesamte politische System neu ausgestalten, demokratisch stärken - und keiner würde sich dafür interessieren, geschweige denn Bescheid wissen über die entsprechenden Inhalte.
Unvorstellbar? Ja, auf europäischer Ebene allerdings eine alltägliche Herausforderung, mit der wir leben müssen.
Der ehemalige Kommissionspräsident Romano Prodi hat es vor zwei Jahren treffend formuliert: "Der Verfassungsvertrag besiegelt den Beginn des politischen Europas" und stärkt dabei eindeutig das Element des demokratischen Europas, eines Europas der Bürgerinnen und Bürger und zwar u. a. durch die Ausweitung der Rechte des EP!
Diese allerdings sind auch aufgefordert, den wichtigen Schritt zu erkennen und zu unterstützen.

Ein funktionierendes Europa der Zukunft muss sich dessen bewusst werden, was Jean Monnet schon 1950 treffend formulierte: "Nicht Staaten vereinigen wir, sondern Menschen."
Ein politisches Europa setzt voraus, dass es seine Bürgerinnen und Bürger mitnimmt, sie einbindet, sie ernst nimmt und ihnen Handlungsspielraum bietet.
Das alles kann Grundlage einer europäischen Identität sein, eines Gefühls, einer Empfindung, die Professor Habermas in seinen Werken als einen "Verfassungpatriotismus" bezeichnet.
Ja, ich glaube, das ist möglich und notwendig.
Der Verfassungsvertrag setzt hier entscheidende Akzente.
In der Präambel des "Vertrags über eine Verfassung für Europa" taucht sogar der Begriff "Verfassung" auf und hat sich schon heute im Sprachgebrauch eingebürgert. 
Obwohl das Werk an sich nur ein Vortrag ist und keine Verfassung.
Jetzt stellt sich für mich die Frage: Wird die Europäische Union mit dieser Verfassung für ihre Bürger künftig auch als politische und kulturelle Einheit greifbarer?
Der Europäischen Union fehlt bis heute, wie bereits betont, eine klare politische Identität.
Lange wurde den Bürgern die Europäische Integration primär als ein wirtschaftliches Unterfangen vermittelt.
Die Europäische Union ist jedoch weit mehr.
Sie besitzt heute in vielerlei Hinsicht zumindest Staatsqualität.
Nicht zuletzt deshalb ist die Kluft zwischen der Europäischen Union und ihren Bürgern in den letzten Jahrzehnten weiter gewachsen.
Ein irreführender Prozess - gerade angesichts der stets zunehmenden Bedeutung der EU für jede und jeden.
In diesem Zusammenhang muss man allerdings die Wichtigkeit des Prinzips der Subsidiarität betrachten.
Um die Bürger mitzunehmen ist es wichtig, dass auf europäischer Ebene nur Entscheidungen getroffen werden, die nicht national gelöst werden können
Auch um die Kompetenzabgrenzung zu regeln, war es notwendig, einen Verfassungsprozess in Gang zu setzen, der dem erreichten Integrationsstand Rechnung trägt und über diesen Klarheit für den Bürger schafft.
Am Ende dieses europapolitischen "Abenteuers", um Valerie Giscard d'Estaing, den Präsidenten des Europäischen Konvents zu zitieren, steht nun eine Europäische Verfassung – wenn auch formal gesehen in Form eines Vertrags.
Aufgabe dieses Europäischen Verfassungsvertrages ist nicht nur, die fast-staatliche, supranationale Ordnung der EU, ihre Institutionen, Verfahren und Politikbereiche sowie die Aufgabenverteilung im Mehrebenensystem zu regeln, sondern zunächst vor allem ein klares Bild vom Wesen der EU selbst zu  vermitteln.
Letzteres gilt umso mehr für ein Gebilde, das die Nationalstaaten nicht ablöst, sondern neben diesen besteht und deshalb einer plausiblen Erklärung für seine Existenz bedarf.

Was aber macht die Europäische Union in ihrem Kern aus?
Warum beschreiten die Mitgliedstaaten seit über 50 Jahren den Weg der Europäischen Integration?
Von welchen Zielen und Werten werden sie dabei geleitet?
Haben es die Verfassungsgeber verstanden, ein in sich stimmiges und für die Bürger nachvollziehbares Bild einer Union zu zeichnen, die trotz aller Vielfalt einen Kern an Gemeinsamkeiten besitzt?
Vermittelt die Verfassung im Sinne des Philosophen Levy eine "Idee" von der Europäischen Union, die weit über den geografischen Ort hinausgeht?
All diese Fragen stehen im Raum, wenn man den Verfassungsvertrag zur Hand nimmt und frägt - quo vadis, Europa?
Wir werden sie heute nicht alle beantworten können und doch müssen wir uns ihnen widmen, sie thematisieren.
Dabei ist es sehr wichtig - und ich sage das bewusst zu Beginn des von der Europäischen Kommission, dem Europäischen Parlament und dem Europarat gemeinsam initiierten "Europäischen Jahres der Erziehung zur demokratischen  Staatsbürgerschaft" - dass wir Europa und die Europäische Union weit mehr als bisher, selbstverständlich an Schulen und Universitäten verankern.
Politische Bildung muss das Wissen um die europäische Ebene umfassen. Keiner kann Politik umfassend verfolgen und verstehen, ohne die europäische Dimension zu kennen!
Gerade für die Studierenden, die nach ihrem Abschluss in den Schuldienst gehen werden, ist das eine große Herausforderung.
Und ich kann Ihnen nur sagen, gerade aus unserer tagtäglichen Erfahrung im Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern heraus, haben Sie dabei die volle Unterstützung der Europaabgeordneten.
Kommen wir noch mal zum Anfang: Europa braucht Visionen und Visionäre - auch heute, auch morgen.
Und die junge Generation ist eine tragende Säule dieses Geistes.
Der aber will entdeckt und erweckt werden - dafür braucht's einen Funken, den Funken der Begeisterung.
Und der will vermittelt werden.
Verstehen Sie mich dabei bitte nicht falsch, aus dieser Aussage folgt kein blindes und unkritisches Vertrauen in das System Europa, nein, denn gerade in seinem steten Wandel braucht Europa seine kritsch-konstruktiven Bürgerinnen und Bürger.
Der Gedanke zielt vielmehr auf die Idee Europa, diese Grundvision Adenauers, Schumans und Churchills, mit der sie 1950, wenige Jahre nach dem blutigen Ende des 2. Weltkriegs, Europa wachzurütteln, neu zu erwecken wussten.
Mit Sicherheit kennen Sie die Bilder der geknickten Schlagbäume, zersägt und zerbrochen von begeisterten Studierenden aus Deutschland und Frankreich, die -  gemeinsam feiernd - ein neues Europa vertreten.
Dabei bedurfte es nach den Verwüstungen des Zweiten Weltkriegs erheblichen Mutes, um überhaupt ein geeintes Europa ins Auge zu fassen.
Das war der große Mut der europäischen Gründungsväter. 
Angesichts zweier Weltkriege innerhalb weniger Jahrzehnte, einer „Erbfeindschaft“ zwischen Frankreich und Deutschland und in einer Zeit des Kalten Krieges war es die Vision einer europäischen Ordnung, die zukünftige Kriege unwahrscheinlich, wenn nicht sogar unmöglich machen sollte. 
Es war eine Vision wachsenden Wohlstands durch Handel und einer   Verbesserung der Lebensverhältnisse für alle.
Doch es war zum Glück nicht nur Mut, sondern auch eine geniale politische Idee, die hinter der Vision zum Vorschein kam.
Idealismus allein hätte der Vision nicht zum Erfolg verholfen.
Der Ausgleich zwischen den landwirtschaftlichen Interessen Frankreichs und den Industrieinteressen Deutschlands stand Pate bei der Gründung der EWG – ein Binnenmarkt gekoppelt mit einer Gemeinsamen Agrarpolitik.
Der schrittweise sich vergrößernde Binnenmarkt bildete eine wesentliche Voraussetzung für den wirtschaftlichen Fortschritt in den EG-Mitgliedstaaten.
Besonders Deutschland als exportorientierte Industrienation profitierte.
Der wachsende Wohlstand verbesserte nicht nur die Lebensbedingungen, er festigte auch die Demokratie und Sicherheit in Europa.
Das Erfolgsrezept zuerst der Montanunion und dann der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft war die Schaffung gemeinsamer Institutionen und die Integration der Volkswirtschaften ihrer Mitgliedstaaten.
Dadurch wiederum wurde der Ausgleich zwischen den Völkern gefestigt und die Grundlage für wirtschaftlichen Wohlstand gelegt.
Ohne die EU wäre Europa ein unsicherer und weniger wohlhabender Kontinent.
Sicher ist es heute nicht mehr möglich, die EU allein aus ihrer historischen Leistung heraus zu rechtfertigen.
Sie muss sich auch dadurch bewähren, dass sie erfolgreiche Politik für ihre Mitgliedstaaten und die Bürger macht.
Das Ziel der EU ist unter anderem „die Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts und eines hohen Beschäftigungsniveaus sowie die Herbeiführung einer ausgewogenen und nachhaltigen Entwicklung“ und „die Stärkung des Schutzes der Rechte und Interessen der Angehörigen ihrer Mitgliedstaaten“ (Artikel 2 des Vertrages über die Europäische Union).
An diesen Zielen muss sich die europäische Politik tagtäglich messen lassen.
Quo vadis, Europa - neben dem Blick zurück müssen wir unseren Blick klar nach vorne richten.

Die Welt von heute bleibt ein unsicherer Ort.
Europa muss sich international behaupten, politisch wie wirtschaftlich.
Dies ist nur möglich mit einer handlungsfähigeren Gemeinsamen Außen- und  Sicherheitspolitik.
Die EU hat es sich zum Ziel gesetzt, bis 2010 zum wettbewerbsfähigsten, wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt aufzusteigen.
Bei allen Aufgaben aber ist und bleibt die Hauptaufgabe, wie anfangs bereits erwähnt: Gemeinsam die Unterstützung und das Interesse der Bürgerinnen und Bürger für die EU zu stärken, miteinander das demokratische Europa der Zukunft bauen.
Und über dieser großen Herausforderung steht auch weiterhin die Vision eines geeinten Europa, das nach außen seine Interessen einheitlich vertritt und im Innern die Aufgaben löst, die sich am besten auf europäischer Ebene lösen   lassen; wie z. B. die gemeinsame Sicherheits- und Terrorbekämpfungspolitik,  die gemeinsame Umweltpolitik, der Binnenmarkt und vieles mehr!
Deshalb haben wir alle Interesse daran, diese Vision zu bewahren und mit Herz und Verstand dafür einzutreten, frei nach dem Freiburger Schriftsteller Reinhold Schneider, der 1957 schreibt: "Wenn Europa nicht unser Innerstes ist, unseres Herzens Herz, dann ist es nicht!"
Das ist meine Vision vom menschlichen Europa.
Vielen Dank.