74. Plenarrede von Dr. Anja Weisgerber in der Grundsatzdebatte zur Umweltpolitik der neuen Bundesregierung

Rede im Deutschen Bundestag, 12. Januar 2022

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Frau Ministerin, ich gratuliere Ihnen herzlich zu Ihrem Amt und wünsche Ihnen viel Erfolg im Ministerium für Umwelt und Verbraucherschutz.

Den Kompetenzverlust beim Thema Klimaschutz haben Sie mit Würde getragen. Aber ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich kann es nicht verstehen, warum in dieser Regierung die Umweltpolitik nicht mit der Energie- und Klimapolitik zusammengeführt wurde; das wäre aus meiner Sicht das Superministerium gewesen, auf dem die Grünen hätten bestehen müssen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU - Stefan Wenzel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Umweltpolitik gehört in alle Haushalte!)

Immerhin: Klimaanpassung und der natürliche Klimaschutz, zum Beispiel die Wälder und die Moore, sind weiterhin im Umweltministerium angesiedelt. Ich warne an dieser Stelle aber davor, im Kampf gegen den Klimawandel ausschließlich auf die natürlichen Senken zu setzen; denn ohne die technischen Senken werden wir unsere ambitionierten Klimaziele nämlich nicht erreichen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich sage ganz bewusst „unsere Klimaziele“; denn die Klimaziele haben Sie -entgegen den vollmundigen Ankündigungen im Wahlkampf - nicht nach oben gesetzt. Das heißt, wir waren schon mit ziemlich viel Ambition unterwegs; das ist doch die Wahrheit, meine Damen und Herren.

(Stefan Wenzel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir starten auch mit ziemlich schlechter Vorarbeit!)

Ebenfalls geblieben ist Ihnen das Thema Klimaanpassung. Wir müssen uns auf die Folgen des Klimawandels besser vorbereiten. Ich freue mich, dass auch Sie das erkannt haben und unsere Forderung nach einem Klimaanpassungsgesetz, das wir auch in unserem Wahlprogramm gefordert haben, aufgenommen haben und dies jetzt vorschlagen.

(Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Warum haben Sie es denn nicht gemacht?)

Frau Ministerin, ich wünsche Ihnen, dass Sie bei den im Umweltministerium verbliebenen Themen durchsetzungsstark agieren und von der Großzügigkeit, die Sie Herrn Habeck gegenüber entgegengebracht haben, vielleicht auch ein bisschen zurückbekommen.Man muss feststellen, dass der Start für solche Hoffnungen wenig Anlass gibt. Ich meine ganz konkret die - vorsichtig gesagt - überraschenden Aussagen des Klimaministeriums zum Aufweichen des Artenschutzes zugunsten des Ausbaus der erneuerbaren Energien.

(Zuruf von der AfD: So ist es!)

Das wurde von den Umweltverbänden heftig kritisiert; diese verweisen darauf, dass wir für den schnelleren Ausbau der erneuerbaren Energien eher Planungsbeschleunigung, mehr Personal für die Verfahren und eine bessere Bürgerbeteiligung brauchen. Frau Ministerin, wenn Sie hier heute den Verlust von Arten als die zweite große Krise darstellen, dann aber sehr schnell einem Aufweichen des Artenschutzes zustimmen, dann stimmt etwas nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD)

Meine Damen und Herren, wesentlicher Schlüssel moderner Umweltpolitik ist das Kooperationsprinzip; es besagt, dass Umweltpolitik am besten funktioniert, wenn Lösungen in Zusammenarbeit mit den betroffenen gesellschaftlichen Gruppen gefunden werden. Allzu hoch stand dieses Prinzip bei SPD und Grünen in der Vergangenheit bislang nicht im Kurs - im Umweltministerium war eher umweltpolitisches Durchregieren angesagt. Ergebnis war aber nicht immer mehr Umweltschutz, sondern eher verschärfte Konflikte und neue gesellschaftliche Gräben, zum Beispiel auch mit der Landwirtschaft. Umweltpolitik mit den Bürgern, nicht gegen sie, darin liegt der Schlüssel zu einer erfolgreichen und vor allem akzeptierten Umweltpolitik.

Kooperative Modelle gibt es zum Beispiel auch zum Erhalt der Biodiversität. Auch beim Wolf gibt es bei vielen Betroffenen die Bereitschaft, mitzuwirken. Aber man muss die Sorgen der Menschen ernst nehmen. Warum soll es in Deutschland nicht möglich sein, in bestimmten Regionen ein aktives Bestandsmanagement beim Wolf durchzuführen? In anderen EU-Staaten geht das doch auch. Nehmen Sie sich dieses Themas endlich an, und lassen Sie die Menschen auf dem Land nicht allein, Frau Ministerin!

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ein Fehlstart für die Grünen ist auch die Diskussion über die Taxonomievorschläge der EU-Kommission. Während Sie, Frau Ministerin, die Einstufung von Erdgas als Übergangsaktivität im Rahmen der Taxonomie für fragwürdig und nicht notwendig halten, sehen das Ihre Koalitionspartner ganz anders. Meine Damen und Herren, raus aus der Kernenergie, raus aus der Kohle, weg vom Gas kann sicher nicht für alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union gleichzeitig funktionieren - auch nicht für Deutschland als energieintensives Land, das auf Stromimporte angewiesen ist. Ja, beim Ausbau der erneuerbaren Energien und beim Wasserstoff gibt es große Chancen; aber wir brauchen für die Energieversorgung Sicherheit, auch den Energiebinnenmarkt und auch Gas als Übergangstechnologie. Die Bedingungen müssen so sein, dass die Privatwirtschaft da investiert. Die Menschen und die Unternehmen ächzen aber heute schon unter den hohen Energiepreisen.

Wenn das so weitergeht, sind in vielen Betrieben bald die Öfen aus und die Arbeitsplätze weg. Da braucht es dringend Antworten, meine Damen und Herren, und darauf bin ich gespannt.

Danke schön.