Wie wichtig ist Brüssel für Bayern?

Sehr geehrte Damen und Herren,
als Ihre Abgeordnete im Europäischen Parlament danke ich Ihnen sehr herzlich für die Einladung und übermittle Ihnen die besten Grüße und Wünsche des Europaministers Eberhard Sinner, den ich heute vertreten darf.
Ihm persönlich ist es leider auf Grund kurzfristiger, wichtiger Termine nicht möglich, hier zu sein - was er, wie er mir persönlich versichert hat, sehr bedauert.
Am 13. Juni diesen Jahres haben mich die Bürgerinnen und Bürger als Europaabgeordnete für Unterfranken gewählt und ich möchte zunächst die Gelegenheit hier nutzen, um mich und meine Arbeit all denen, die mich noch nicht persönlich kennen, kurz vorzustellen.
Ich bin im Europäischen Parlament zusammen mit 8 anderen Kolleginnen und Kollegen der CSU-Europagruppe. Die CDU/CSU ist im Parlament mit 49 Abgeordneten vertreten, wir sind Teil der 268 Personen starken EVP-ED-Fraktion, der größten im EP.
Ich bin Mitglied in den Ausschüssen für Umwelt, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit sowie Beschäftigung und soziale Angelegenheiten.
Für mich bedeutet das, dass mehr als 40 Prozent der gesamten EU-Gesetzgebung auf der Agenda meiner beiden Ausschüsse steht und damit auch für mich interessant ist.
Die Palette ist sehr breit!
Entsprechend der Ausschüsse bin ich umwelt-, sozial- aber auch sportpolitische Sprecherin der CSU-Europagruppe.
Außerdem bin ich Mitglied in der SME-Union, einem Interessensverband zur Förderung von kleineren und mittleren Unternehmen.
Das Europäische Parlament tagt 44 Wochen im Jahr (vgl. Bundestag: 21 Sitzungswochen): 32 in Brüssel, 12 in Straßburg.
Gerade deshalb ist mir die Präsenz im Wahlkreis ein großes Anliegen und ich habe deshalb dafür ein Drei-Säulen-Konzept zur besseren Vermittlung von Europa im Wahlkreis entwickelt:
EUROPABÜRO, BÜRGERSPRECHSTUNDEN, AG EUROPA
Ich möchte entsprechend meinem eigentlichen Beruf der Rechtsanwältin ANWÄLTIN UNTERFRANKENS sein.
Ich verstehe mich und mein Büro auch als SERVICEZENTRALE, als Schaltstelle zur Unterstützung bei der Stellung von Förderanträgen!
Eigens Mitarbeiter angestellt, der sich nur um die Betreuung von Förderanträgen kümmert!
Ich sehe mich aber auch als ein Brückenkopf nach Europa.
Fast jede Woche habe ich inzwischen Besuchergruppen in Brüssel und Straßburg zu Besuch.
Manchmal organisiere ich selbst inhaltliche Fahrten und Treffen von Interessenvertretern aus Unterfranken mit EU-Funktionären.
Im nächsten Jahr werde ich z. B. in Zusammenarbeit mit der IHK unterfränkische Unternehmer zu einer Informationsfahrt nach Brüssel einladen.
Die Themenpalette der Vorträge, die seit 1954 im Rahmen der Vortragsreihe „Wirtschaft und Behörde“ der Kauzen-Bräu gehalten wurden, ist beeindruckend.
Vor einem Jahr ging es in einem Referat von Herrn Prof. Dr. Walzl um „Vitalität aus der Brauerei – über die verblüffende gesundheitliche Wirkung von Bier.“
Dass die EU an sich ebenfalls gesundheitsförderlich ist, wage ich selbst als Europaabgeordnete und überzeugte Europäerin nicht zu behaupten -
Trotzdem halte ich, nebenbei bemerkt, nichts davon, wenn die Linken in meinem Ausschuss für Umwelt, Gesundheit und Lebensmittelsicherheit den Vorschlag der Kommission auf Verbot der sogenannten "health claimes", der gesundheitsbezogenen Angaben auf Lebensmitteln befürworten.
Spaß bei Seite.
Ich will heute mein Bestes geben, um Ihnen die EU ein Stück näher zu bringen, und Ihnen vor allem etwas zu aktuellen europapolitischen Fragen zu sagen.
Auf jeden Fall lässt sich die Frage, die der Kauzen-Bräu mir zur Beantwortung aufgetragen hat – „Wie wichtig ist Brüssel für Bayern?“ –, eindeutig beantworten: Sehr wichtig.
Sie werden von mir natürlich keine andere Antwort erwartet haben.
Die Tatsache, dass es 11 Abgeordnete für Bayern im Europäischen Parlament - 9 davon von der CSU - einen eigenen Staatsminister für Europaangelegenheiten in der Staatskanzlei, eine neue Vertretung des Freistaats und vielfache regionale Beziehungen gibt, zeigt jedoch, wie wichtig Europa für Bayern ist.
1.Die EU regiert in Deutschland und Bayern entscheidend mit.
2.Gerade gegenwärtig werden in Brüssel viele Karten neu gemischt.
3.Bayern hat ein Interesse, die EU mitzugestalten.
Diese drei Feststellungen stelle ich meinem Referat voran.
Zunächst zur Bedeutung der EU.
Vielen Menschen in unserem Land fällt beim Stichwort „EU“ nichts Gutes ein. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass die EU heute weite Bereiche vor allem unseres Wirtschaftslebens bestimmt und teilweise überreguliert, und dass sie Deutschland viel Geld kostet.
Außerdem assoziieren wir mit Brüssel unproduktiven Dauerstreit.
All dies entspricht durchaus den Tatsachen, ist jedoch auch nicht immer die ganze Wahrheit.
Experten sagen, dass heute 70 % des deutschen Rechts auf EU-Recht zurückzuführen ist.
Wie man so eine Zahl errechnet, weiß ich nicht. Wichtig ist die Tatsache, die dahinter steckt.
Auch wenn EU-Recht in der Regel erst in Bundes- und Landesrecht umgesetzt werden muss, wird Vieles heute in Brüssel und in Straßburg geregelt.
Und: Der Trend geht von Richtlinien zu Verordnungen, die dann sofort über nationalem Recht stehen!
Seien es Umweltstandards für Autos, Regelungen zu Arbeitszeiten oder Bestimmungen zur Erteilung von Einreisevisa – die EU gibt den Rahmen vor, und teilweise auch die Details.
Das ist nur natürlich: In einem europäischen Binnenmarkt bedarf es gemeinsamer Regelungen, denn sonst bleiben Handelsschranken und Wettbewerbsverzerrungen aufgrund nationaler Bestimmungen bestehen.
Nicht vergessen darf man auch, dass die Schaffung des EU-Binnenmarktes nationale Regelungen ersetzt und Märkte geöffnet hat.
Der Binnenmarkt ist ein Liberalisierungsprojekt.
Wenn der Kunde heute zwischen unterschiedlichen Stromanbietern oder Telefongesellschaften wählen kann, so ist das ein Erfolg der EU.
Allerdings sattelt Deutschland häufig auf EU-Standards drauf und bürdet damit der deutschen Wirtschaft unnötige Kosten auf.
Und die EU ist nicht allein die EU-Kommission.
In den meisten Fällen treffen die Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament die Entscheidung.
Wenn sich die Bundesregierung hinter der EU versteckt, war sie doch in aller Regel an der Entscheidung beteiligt.
Nur in einzelnen Bereichen entscheidet die Kommission autonom, zum Beispiel in der Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen und von staatlichen Subventionen, oder wenn sie Mitgliedstaaten vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt, weil sie EU-Recht nicht respektieren.
Dass die EU manchmal über das Ziel hinausschießt und durch übertriebene Regelungen die Wirtschaft und die Verwaltung belastet, ist jedoch ebenfalls richtig.
Deregulierung ist daher eine Aufgabe auch auf europäischer Ebene.
Wir begrüßen, dass die gegenwärtige niederländische Ratspräsidentschaft in dieser Hinsicht etwas bewegen will.
Sie hat vorgeschlagen, das bestehende EU-Recht daraufhin zu überprüfen, ob es sinnvoll ist und ob es vereinfacht werden kann.
Die Bayerische Staatsregierung hat bereits auf Rechtsakte hingewiesen, bei denen wir eine Vereinfachung oder gar Abschaffung für wünschenswert halten.
Wie Sie schon sehen: Europapolitik ist in vielen Bereichen Innenpolitik.
Es gibt keinen Wirtschaftsbereich mehr, der nicht, zumindest teilweise, durch EU-Recht reguliert wird.
Darüber hinaus versucht die EU im Rahmen der sogenannten „offenen Koordinierung“ und des Lissabon-Prozesses auch in anderen Bereichen Einfluss zu nehmen, zum Beispiel in der Arbeitsmarktpolitik und der Gesundheitspolitik.
Hier geht es in der Regel nicht um rechtliche Vorgaben, sondern um den Austausch von Informationen, um Empfehlungen an die Mitgliedstaaten und um die Setzung von Zielen, die die Mitgliedstaaten erreichen müssen.
Die Mitgliedstaaten müssen ihre Leistungen offen legen und sich der Bewertung durch die EU-Kommission und die anderen Mitgliedstaaten stellen.
Durch den Druck von außen und regelmäßige Überwachung („peer review“) sollen sie zu Reformen und in eine gemeinsame Richtung gedrängt werden.
Auch wenn kein Mitgliedstaat rechtlich verpflichtet ist, hier mitzuspielen – entziehen will sich diesem Prozess auch keiner, mit dem Ergebnis, dass die EU zunehmend mitregiert.
Natürlich bringt der gemeinsame Binnenmarkt besonders dem „Exportweltmeister Deutschland“ große Vorteile.
Schon der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) 1957 lag ein großer Handel zugrunde: Deutschland bekommt einen großen europäischen Markt für seine Industrieerzeugnisse und Frankreich eine mit deutschen Beiträgen mitfinanzierte Gemeinsame Agrarpolitik.
Ohne die Abschaffung von Zöllen und anderen Handelshemmnissen durch die EWG hätte die deutsche Wirtschaft im Laufe der Nachkriegszeit nicht den Aufschwung erlebt, den sie erlebt hat.
Die Erweiterung der EU um 10 neue Mitgliedstaaten am 1. Mai 2004 bedeutet einen weiteren Meilenstein in dieser Hinsicht – gerade für unser grenznahes Land Bayern mit seinen leistungsfähigen und exportstarken Unternehmen.
In die erweiterte EU mit ihren mehr als 450 Millionen Einwohnern gehen rund 60 % der bayerischen Exporte, gefolgt auf Platz 2 von den USA mit 13 %.
Als wachstumsstarker Raum, mit jährlichen Wachstumsraten von 3 % und darüber und einem enormen Nachholbedarf in den Produktionsanlagen, bei der Infrastruktur und im privaten Konsum, ist dieser neue zentraleuropäische Wirtschaftsraum unter dem Dach der EU für die bayerische Wirtschaft ein großer Gewinn.
Doch nicht nur die Wirtschaft, auch für den Bürger bringt die EU Vorteile.
Das Angebot an Waren hat sich deutlich vergrößert.
Die Einführung des Euro stieß in Deutschland zwar auf nicht viel Gegenliebe; zumindest im Gaststättengewerbe wurde er zu Preiserhöhungen genutzt.
Insgesamt jedoch zeigt die Statistik, dass der Euro kein „Teuro“ ist.
Dafür ist das Reisen und der Preisvergleich zwischen den Ländern in der Eurozone für den Bürger einfacher geworden.
Das gleiche gilt für die Abschaffung von Personenkontrollen nach dem Schengen-Abkommen.
Und in Zukunft sollen sogar Haustiere mit einem eigenen EU-Pass mit weniger Formalitäten die Grenze zu anderen EU-Ländern passieren können!
Die EU hat das Problem, dass solche Fortschritte rasch zum Alltag werden und von den Bürgern nicht mehr gewürdigt werden.
Gesehen werden vor allem die Schwachpunkte der EU und ihre Kosten für Deutschland.
Bedenklich ist es, wenn bei der letzten Europawahl am 13. Juni in Deutschland überhaupt nur noch 43 % (EU-weit 45 %) der Wahlberechtigten ihre Stimme abgeben.
Dies wird der Bedeutung der EU und dem Einfluss des Europäischen Parlaments nicht gerecht.
Die Bayerische Staatsregierung hat sich angesichts der wachsenden Bedeutung Europas seit langem europapolitisch positioniert und versucht, in Brüssel und in Straßburg mitzuwirken.
Wir können sagen: Bayern wird als europapolitischer Player wahrgenommen. Natürlich sitzen wir in Brüsseler Verhandlungen meist nicht mit am Tisch, doch unsere Stimme hat Gewicht und auch über informelle Kanäle lässt sich Manches erreichen.
Der Ausgangspunkt unseres Engagements ist die Überzeugung, dass die Regionen auch in einer fortschreitenden europäischen Einigung einen festen Platz einnehmen müssen. Zusammen mit den Städten und Gemeinden sind sie es, die den Bürgern am nächsten sind.
Sie sind es, die viele Gesetze in der Praxis umsetzen und die die Bedingungen vor Ort kennen.
Sie tragen zur Teilung staatlicher Gewalt bei, sind ein Ort demokratischen Lebens und bieten dem Bürger Möglichkeiten der Teilhabe und Identifikation.
Regionen sind auch Träger von Lösungsansätzen, die sich im Wettbewerb miteinander messen müssen.
Der Wettbewerb auch zwischen Regionen und Mitgliedstaaten liegt der Staatsregierung sehr am Herzen.
Ihm muss auch in einem vereinigten Europa Spielraum gelassen werden.
Die Unterstützung für das europäische Einigungswerk ist seit jeher eine Konstante bayerischer Politik.
Dennoch: Gerade in einem wachsenden Europa brauchen wir die Regionen.
Wir sind stolz auf unsere eigenstaatliche Geschichte, wir sind stolz auf unsere Kultur und unser Land, und wir sind stolz auf die Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft.
Bayern gehört heute zu den wirtschaftlich stärksten und modernsten Regionen in Europa.
Diese Erfahrungen und Leistungen wollen wir auf Ebene der EU zum Tragen bringen, wo heute mehr und mehr Entscheidungen getroffen werden, die uns direkt betreffen.
Gerade in diesen Monaten müssen wir in Europa Flagge zeigen.
Denn es gab kaum ein Jahr in der Geschichte der EU, in dem so viele wichtige – und teilweise historische – Entscheidungen getroffen bzw. Wirklichkeit werden.
Die Erweiterung der EU am 1. Mai stellte die historische Vereinigung des europäischen Kontinents nach Jahrzehnten künstlicher Trennung und politischer und militärischer Konfrontation dar.
Sie sichert den Frieden und die Zusammenarbeit in Europa und bedeutet gerade für Deutschland und Bayern eine große Herausforderung, aber auch eine große Chance.
Voraussichtlich 2007 werden Bulgarien und Rumänien beitreten.
Im Juni beschloss der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs auf Empfehlung der EU-Kommission, auch mit Kroatien Beitrittsverhandlungen zu eröffnen.
Ebenfalls im Juni einigten sich die Staats- und Regierungschefs auf den Entwurf eines EU-Verfassungsvertrages. Dieser muss nun durch alle Mitgliedstaaten, teilweise in einem Referendum, ratifiziert werden.
Mit der Verfassung würde die EU handlungsfähiger, transparenter und ein Stück demokratischer.
Das Subsidiaritätsprinzip würde gestärkt: Nicht jedes Problem in Europa ist auch ein Problem für Europa.
Am 13. Juni wurde ein neues Europäisches Parlament gewählt und am 1. November tritt eine neue EU-Kommission ihr Amt an.
Neben den Mitgliedstaaten, die im Ministerrat zusammenkommen, sind die Kommission und das Parlament die zentralen Entscheidungsträger in der EU.
Es kommt also sehr wohl darauf an, wer dort sitzt.
Die Verhandlungen zum Haushaltsrahmen der EU für die Jahre 2007 – 2013 und zur Reform der EU-Strukturfonds haben begonnen.
Sie werden unter anderem darüber entscheiden, wie viel Deutschland in den kommenden Jahren an die EU überweisen muss.
Darauf komme ich gleich zurück.
Auf dem Europäischen Rat im Dezember werden die Staats- und Regierungschefs über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei beschließen.
Alle diese Schritte sind richtungsweisend für die EU in den nächsten Jahren und Jahrzehnten.
Lassen Sie mich Ihnen zu drei dieser Punkte die Haltung der CSU und - im Namen des Ministers - der Bayerischen Staatsregierung erläutern und dabei auch erklären, wie wir versuchen, auf Brüssel Einfluss zu nehmen.
Zuerst zum Finanzrahmen der EU für die Jahre 2007-2013: Die EU gibt sich seit 1988 eine mehrjährige sog. „Finanzielle Vorausschau“ um langfristig planen zu können und die jährlichen Haushaltsverhandlungen zwischen den Mitgliedstaaten und zwischen den Mitgliedstaaten und dem Europäischen Parlament zu vereinfachen.
Die EU-Kommission hat im Juli ihren Vorschlag für die Finanzielle Vorausschau 2007-2013 vorgelegt.
Sie hat vorgeschlagen, den EU-Haushalt auf 1,14 % des Bruttonationaleinkommens (BNE) im Durchschnitt der Jahre 2007-2013 auszuweiten.
Heute liegt der Haushalt bei 1 %. Real würde das eine Steigerung von derzeit 100 Mrd. Euro auf 143 Mrd. Euro bedeuten.
Die Begründung sind die Erweiterung der EU und zusätzliche Investitionen in die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft.
Für Deutschland würde das bedeuten, dass sich sein Nettobeitrag an die EU von 0,36 % (2003) des Bruttonationaleinkommens auf 0,54 % erhöhen würde.
Selbst wenn es gelingt, den heutigen „Britenrabatt“ durch einen neuen allgemeinen Korrekturmechanismus zu ersetzen, läge der deutsche Nettobeitrag immer noch bei 0,49 % des BNE.
Natürlich unterstützen wir eine Fortführung der finanziellen Unterstützung an die neuen Mitgliedstaaten.
Es ist auch in unserem Interesse, dass diese sich rasch entwickeln.
Ein Teil der Mittel wird über Aufträge auch bayerischen Firmen zugute kommen.
Ebenso teilen wir das Ziel der Kommission, die Wettbewerbsfähigkeit der EU zum Beispiel durch Investitionen in die Forschung und technologische Entwicklung zu verbessern.
Doch diese Ziele verwirklichen wir nicht, indem die Nettozahler der EU immer mehr belastet werden, sondern indem die EU ihren Haushalt auf Schwerpunkte konzentriert.
Auch bisher ist die EU mit 1 % des Bruttonationaleinkommens ausgekommen. Es ist nicht hinnehmbar, dass die Mitgliedstaaten sparen müssen - auch um die Maastricht-Kriterien zu erfüllen und den Euro stabil zu halten -, während die EU ihren Haushalt wachsen lässt.
In Bayern exerzieren wir gerade vor, wie man spart.
Für 2006 streben wir einen ausgeglichenen Landeshaushalt an.
Diese Anstrengungen wollen wir uns nicht von der EU konterkarieren lassen.
Daher unterstützt Bayern die Position der Bundesregierung, den EU-Haushalt strikt auf 1,0 % des Bruttonationaleinkommens der EU zu begrenzen.
Auch die anderen Nettozahlerländer (Österreich, Großbritannien, Schweden, Niederlande, Frankreich) unterstützen diese Forderung.
Eng mit dieser Problematik verbunden ist die Reform der EU-Strukturfonds. Nach den Agrarausgaben (rd. 40 % des EU-Haushalts) stellen diese mit rd. einem Drittel den zweitgrößten Posten des EU-Haushalts dar.
Wer die EU-Ausgaben begrenzen will, kommt kaum darum herum, auch in der EU-Strukturpolitik anzusetzen.
Hier muss die Maxime heißen, die Ausgaben eindeutig auf die rückständigsten Regionen zu konzentrieren.
Diese liegen vor allem in den neuen mittel- und osteuropäischen Mitgliedstaaten.
Dies hat die EU-Kommission auch vorgeschlagen.
Gleichzeitig gilt es, besondere Problemlagen zu berücksichtigen und faire Spielregeln zu schaffen. Wir wollen, dass sich unsere neuen Partner in der EU entwickeln, und wollen sie dabei unterstützen.
Diese Entwicklung darf jedoch nicht auf Kosten der Entwicklung in den alten Mitgliedstaaten gehen.
Das wäre der Fall, wenn zum Beispiel mit deutschen Steuergeldern über den Umweg der EU-Strukturförderung deutsche Arbeitsplätze in die neuen Mitgliedstaaten abgezogen werden, eins-zu-eins, und ohne dass dadurch gleichzeitig deutsche Jobs gesichert werden.
In ihren Vorschlägen zur Reform der Strukturförderung nach 2006 hat die Kommission erfreulicherweise, und wie von Bayern sowie dem EP gefordert, eine entsprechende Sicherungsklausel vorgeschlagen.
Auch hat Bayern es zusammen mit ähnlich betroffenen Regionen in Österreich erreicht, dass die besondere Förderwürdigkeit der Grenzregionen zu den neuen Mitgliedstaaten von der Kommission anerkannt wird.
Dies ist ein wichtiger Fortschritt für Ostbayern.
Das Grenzland zu den neuen Mitgliedstaaten war in besonderem Maße Opfer der Nachkriegsgeschichte Europas.
Am Eisernen Vorhang lag es im toten Winkel der Entwicklung, und es ist bis heute strukturschwächer als die angrenzenden Gebiete.
Vor allem aber droht in diesen Gebieten der Fortschritt, der in den vergangenen Jahren – auch mit Brüsseler Hilfe durch die EU-Strukturfonds – erreicht wurde, zunichte gemacht zu werden.
Es wäre schon eine einmalige Ironie der Geschichte, wenn die Gebiete, die unter der Schließung der Grenze nach dem 2. Weltkrieg besonders zu leiden hatten, jetzt von der Entwicklung im Zuge der Öffnung der Grenze überrannt würden!
Einer Entwicklung, die durch das enorme Gefälle zwischen alten und neuen EU-Mitgliedstaaten bei den Lohnkosten, bei den Steuern und bei der Verfügbarkeit von EU-Strukturfondsmitteln bestimmt wird.
Dies bedeutet: Das Grenzland zu den neuen Mitgliedstaaten sollte Unterstützung nicht nur aus den nationalen Hauptstädten erwarten dürfen, sondern auch von der EU.
Es war nicht zuletzt das Ergebnis einer bayerisch-österreichischen Intervention, dass die EU-Kommission die Grenzgebiete als „Gebiete mit einer geographischen oder natürlichen Benachteiligung“ anerkannt hat.
So steht es in den Vorschlägen der Kommission für die Förderperiode der EU-Strukturfonds 2007-2013.
Und die Kommission hat vorgeschlagen, dass diese Gebiete Anrecht auf einen Förderungsaufschlag um 5 Prozentpunkte haben sollen.
Ein erster Teilerfolg also.
Allerdings ist noch nicht gesichert, dass das Grenzland automatisch überhaupt eine Strukturfondsförderung (Basisförderung) erhält.
Außerdem sind die Bedingungen für nationale Fördermaßnahmen nach dem EU-Beihilferecht zu eng.
Angesichts der hohen Fördersätze, die in den neuen Mitgliedstaaten für betriebliche Investitionen gewährt werden können, müssen auch die alten Mitgliedstaaten einen weiteren Spielraum haben.
Das Fördergefälle muss begrenzt werden.
Sonst wird es wirklich unmöglich, überhaupt noch Betriebe in den Grenzraum zu bekommen.
Folglich haben wir einen Teilerfolg erzielt, aber wesentliche Forderungen bleiben bestehen.
Zum Schluss möchte ich auf eine Frage zu sprechen kommen, die die Bayerische Staatsregierung sehr bewegt:
Die Frage eines Beitritts der Türkei zur EU.
Wie Sie wissen, hat die Europäische Kommission am 6. Oktober die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei empfohlen.
Sie hat dies unter einer Reihe von Bedingungen getan, die den besonderen Sorgen im Hinblick auf eine Türkei-Mitgliedschaft entgegen kommen sollen.
Gleichzeitig hat die Kommission festgestellt, dass viele Reformen in der Türkei bislang lediglich auf dem Papier stehen.
Daneben gebe es zum Beispiel weiterhin zahlreiche Fälle von Folter und Misshandlungen und Beschränkungen in der Meinungs- und Religionsfreiheit in der Türkei.
Unsere Haltung zu einer EU-Mitgliedschaft richtet sich nicht gegen die Türkei oder gar die Türken als Volk.
Vielmehr bewegt uns die Sorge um die Zukunft der EU.
Die zentrale Frage ist doch: Wo sind die Grenzen Europas, und ist eine Mitgliedschaft der Türkei für die EU überhaupt verkraftbar?
Unsere Antwort auf diese Frage ist ein eindeutiges „Nein“.
Bereits mit dem Beitritt der mittel- und osteuropäischen Länder zur EU ist ihre wirtschaftliche und politische Integrationskraft bis auf Äußerste angespannt.
Aus unserer Sicht ist es ein gefährlicher Irrtum, anzunehmen, die EU könne ständig weiter wachsen, ohne dass sich ihr Wesen ändert.
Wir wollen keinen Rückschritt der EU zu einer gehobenen Freihandelszone – wir wollen ihren Fortschritt zu einer politischen Union.
Weil wir Europa zu einer politischen Union fortentwickeln wollen, wäre ein Beitritt der Türkei in die EU aus unserer Sicht hochproblematisch.
Eine schnell wachsende Türkei mit bereits heute 70 Millionen Einwohnern, Grenzen zu den Konfliktzonen Nahost, Irak und Kaukasus und einer Wirtschaftskraft, die bei 22 %, in den östlichen Landesteilen gar nur bei 7 % des EU-Durchschnitts liegt – das überfordert die EU.
Nach Angaben der Kommission kämen auf die EU Transferzahlungen von bis zu 28 Milliarden Euro jährlich zu.
Deutschland wäre mit fast 6 Milliarden dabei.
Das können wir nicht leisten.
Zudem ist die Türkei ein Land, das sich erheblich von unserer Kultur und unserem Wertesystem unterscheidet.
Im vergangenen Jahr kamen aus keinem anderen Land so viele Asylbewerber nach Deutschland wie aus der Türkei.
Wer davon ausgeht, dass die Verhandlungen 15 Jahre dauern werden, räumt ein, dass die Voraussetzungen für einen Beginn der Verhandlungen noch lange nicht vorliegen.
Auch das Argument, die Türkei müsse aus sicherheitspolitischen Erwägungen in die EU, halte ich für fragwürdig:
Die Türkei hat unter anderem aus historischen Gründen keinen Einfluss auf arabische, islamische Länder, geschweige denn auf fundamentalistische Gruppen.
Im Gegenteil: Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU wird noch lange nicht robust genug sein, um mit einer gemeinsamen Außengrenze zum Irak, Iran und Syrien umzugehen.
Aus Sorge um die Weiterentwicklung der EU lehnen wir die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ab.
Die Konsolidierung und die Vertiefung der Union muss Vorrang vor ihrer Erweiterung haben.
Dagegen befürwortet die Staatsregierung einen Ausbau der europäisch-türkischen Beziehungen außerhalb einer EU-Mitgliedschaft mit allen ihren Konsequenzen.
Unser Vorschlag ist der einer privilegierten Partnerschaft mit der Türkei.
Diese soll die politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Türkei ausbauen, jedoch unter Ausschluss von sensiblen Bereichen und außerhalb der EU-Institutionen.
Wir hoffen, dass die Diskussion in den nächsten Wochen bis zur endgültigen Entscheidung der Staats- und Regierungschefs im Dezember die mit einem Türkei-Beitritt verbundenen, nicht hinnehmbaren Risiken deutlich macht.
Wir werden in dieser Zeit für unsere Position weiter werben.
Der eine oder andere von ihnen wird vielleicht in den Medien von der Eröffnung der neuen Bayerischen Vertretung in Brüssel gelesen haben.
In unmittelbarer Nähe des Europäischen Parlaments und der anderen EU-Institutionen hat Bayern ein geschichtsträchtiges Gebäude aus dem Anfang des 20. Jahrhunderts behutsam saniert und zu einer repräsentativen Adresse umfunktioniert.
Unser neues Haus veranschaulicht unseren Anspruch, in Brüssel auch politisch wahrgenommen zu werden.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen verdeutlichen, mit welchen politischen Inhalten wir dieses Haus füllen wollen.
Bayerische Europapolitik will die Entwicklung der EU kritisch begleiten und im Sinne unseres Landes und unserer Wertvorstellungen beeinflussen.
Gerade weil wir die europäische Einigung unterstützen und weil Europa Teil unseres Lebens auch hier in Bayern geworden ist, wollen wir das Gesicht dieses Europa mitbestimmen.
Von Robert Schumann stammt der Gedanke: „Europa kann man nicht auf einen Schlag erschaffen – es entsteht Schritt für Schritt durch Taten“.
Europa hat sich in den letzten Jahren enorm entwickelt – und wir können noch viel mehr.
Die Ziele sind da, den Weg aber können wir nur gemeinsam beschreiten.
Und genau deshalb sind wir auch alle auch aufgefordert, die europäische Idee zu unterstützen, anzupacken, mitzubauen.
Das Europa der Zukunft ist ein Europa der Bürgerinnen und Bürger – gemeinsam schaffen wirs!