Sehr geehrte Damen und Herren,
Politik lebt vom Dialog und vom Austausch von Meinungen, auch wenn sie kontrovers sind. Und dies wird auch heute der Fall sein.
Zur anstehenden Osterweiterung der EU werde ich sicherlich teilweise eine andere Meinung vertreten, als beispielsweise der von mir sehr geschätzte Herr Botschafter Mazuru.
Ich freue mich darauf, mit Ihnen allen heute Abend einen konstruktiven Dialog führen zu können.
Lassen Sie mich meinen Standpunkt kurz darlegen: Am 1.5. 2004 hat ganz Europa den Beitritt 10 neuer Mitgliedstaaten gefeiert.
Dieser historischen Erweiterungsrunde ging ein sehr langer Beitrittsprozess voraus, in dem sowohl diese Staaten als auch die EU für den Beitritt vorbereitet wurden.
Zu dieser ersten, großen Runde der EU-Osterweiterung von 2004 kann eine positive Bilanz gezogen werden.
Am 13. April 2005 wurde dann im Plenum des Europäischen Parlaments für die Aufnahme Bulgariens und Rumäniens votiert.
Ich kann nicht leugnen, dass ich bei dieser Abstimmung bewusst gegen den Beitritt Rumäniens und Bulgariens zur EU gestimmt habe und zum Beitritt auch jetzt noch sehr kritisch eingestellt bin.
Auch wenn Bulgarien und Rumänien – im Gegensatz zur Türkei – für mich zweifelsfrei zu Europa zu zählen sind.
Die rumänische Sprache gehört zur romanischen Sprachfamilie und weist viele Gemeinsamkeiten mit dem Italienischen und Französischen auf.
Die Sprachstruktur des Rumänischen ähnelt dem Latein sehr, was wohl darin begründet ist, dass Rumänien zum Römischen Reich gehörte.
Diese Sprachstruktur überdauerte genau wie die Religion, das orthodoxe Christentum, die türkische Vorherrschaft über Rumänien, die vom 16. bis weit in das 19. Jahrhundert hinein bestand.
An der Zugehörigkeit Rumäniens und Bulgariens zu Europa besteht also kein Zweifel.
Dennoch habe ich noch immer Vorbehalte gegenüber dem Beitritt von Rumänien und Bulgarien zur EU zum 1. Januar 2007.
Damit die EU funktionsfähig ist, muss jeder Mitgliedstaat Spielregeln einhalten. Das erwarten nicht zuletzt die Bürger von uns.
Doch bei der Einhaltung der Spielregeln, bei der Erfüllung der Voraussetzungen für einen EU-Beitritt bestehen bei Rumänien und Bulgarien noch Defizite.
Und wenn diese Bedingungen noch nicht eingehalten werden, dann müssen Schutzklauseln eingeführt werden.
Ich hatte und habe die Befürchtung, dass wir die EU und nicht zuletzt die Bürger Europas mit diesem sehr schnellen und auch übereilten Schritt überfordern.
Und dass diese Befürchtung eintrat, und diese Überforderung auch Ablehnung hervorrief, zeigte beispielsweise das „Nein“ der Franzosen und der Niederländer zum Verfassungsvertrag.
Auch Kommissionspräsident Barroso spricht sich dafür aus, nach der EU-Erweiterung um Bulgarien und Rumänien eine Erweiterungspause einzulegen, bis die Verfassungskrise gelöst ist.
Die EU muss erst nach innen konsolidiert werden, bevor sie wieder erweitert werden kann.
Im Mai 2006 legte der EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn einen Bericht über den Stand von Rumänien und Bulgarien in Bezug auf die Erfüllung der Aufnahmekriterien vor.
Aufgrund der noch immer bestehenden Defizite sah Rehn damals davon ab, eine Empfehlung zum EU-Beitritt der beiden Länder zu geben.
Nur wenige Monate später, im September, legte der Kommissar einen weiteren Bericht vor, in dem noch immer die Rede von Defiziten ist.
Dennoch empfahl die Europäische Kommission die Aufnahme von Rumänien und Bulgarien. Die deutlichen Fortschritte, von denen in diesem Bericht die Rede ist, sind natürlich sehr zu begrüßen.
Aber der Bericht zeigt auch, dass hier noch viel zu tun ist.
So sind zwar Fortschritte bei der Reform des rumänischen Justizwesens zu verzeichnen, aber eine umfassende und konsistente Rechtsprechung durch alle Gerichtsinstanzen kann noch nicht gewährleistet werden.
Ein sehr problematischer Punkt ist die Korruption in Rumänien.
2005 wurde Rumänien von der unabhängigen Organisation „Transparency International“ als das Land Europas mit der höchsten Korruption bewertet. Zwar hat vor allem die Justizministerin Monica Macovei der Korruption den Kampf angesagt.
Dennoch mahnt die Europäische Kommission an, dass bei der Bekämpfung von Korruption, Geldwäsche und Betrug weitere Maßnahmen ergriffen werden müssen.
Auch die Justizministerin selbst sagt aus, dass in diesem Bereich noch viel getan werden muss.
Darüber hinaus ist das InVeKoS, das Integrierte Verwaltungs- und Kontrollsystem, das für die Überwachung der EU-Zuwendungen aus den Agrarfonds zuständig ist, noch nicht voll einsatzfähig. Weitere Korruptionsfälle, in denen EU-Gelder verschwinden, sind also denkbar.
Rumänien und Bulgarien wurden aufgrund dieser noch bestehenden Defizite bei der Umsetzung der EU-Anforderungen für den Beitritt am 1.Januar 2007 mit harten Auflagen belegt.
Im Beitrittsvertrag wurde vereinbart, dass die Aufnahme der Staaten in die EU um ein Jahr verschoben werden kann, wenn die Beitrittskriterien nicht erfüllt werden.
Die Bemühungen in den Bereichen, in denen noch Nachholbedarf besteht, werden von der Europäischen Kommission streng überwacht. So werden weitere Berichte gefordert, in denen Bulgarien und Rumänien Rechenschaft über ihre Fortschritte ablegen.
Der nächste Bericht ist im März 2007 vorzulegen. Für den Fall, dass die Auflagen nicht erfüllt werden, kann die Kommission Schutzklauseln verhängen. Diese Schutzklauseln sind bis zu drei Jahre nach dem Beitritt anwendbar.
Dazu gehören mögliche Maßnahmen im wirtschaftlichen Bereich, wenn eine Beeinträchtigung des EU-Binnenmarktes droht. So können bestimmte Produkte aus den Beitrittskandidaten mit einem Exportverbot für die EU belegt werden. Bei Unregelmäßigkeiten oder dem Missbrauch von EU-Fördermitteln hat die Europäische Kommission das Recht, die Zahlungen einzustellen.
Eine weitere Übergangsregelung ist die Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit für 7 Jahre.
Vielfach wird der Ruf laut, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird, dass die Aufnahmekriterien für Rumänien und Bulgarien im Vergleich zu früheren Erweiterungsrunden ungerecht und zu hoch sind.
Dabei gebe ich zu bedenken, dass auch der letzten Erweiterungsrunde um 10 neue Mitgliedstaaten ein langer Prozess vorausging, in dem sowohl die Beitrittskandidaten als auch die EU für die Aufnahme vorbereitet wurden.
Auch diesen Staaten wurden Auflagen auferlegt, wie beispielsweise die zeitlich befristete Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit.
Hinzu kommt, dass Bulgarien und Rumänien bereits in die Förderprogramme der EU integriert sind: So erhielt Rumänien beispielsweise von 1992 bis 2003 allein 2,1 Mrd. € an EU-Mitteln aus dem Programm PHARE; Schätzungen gehen davon aus, dass Rumänien bis 2012 weitere 30 Mrd. € an EU-Mitteln erhalten wird. Und gerade da muss ein leistungsfähiges System aufgebaut werden, dass die Verteilung der Fördergelder zuverlässig überwacht.
Sehr geehrter Herr Botschafter, ich erkenne die gewaltigen Reformanstrengungen Rumäniens im Hinblick auf die Aufnahme in die Europäische Union an.
Dennoch zeigt der Bericht der Europäischen Kommission, dass noch weitere Anstrengungen nötig sein werden, um die noch vorhandenen Defizite zu beheben.
Und letztlich profitiert nicht nur die EU, sondern auch Bulgarien und Rumänien davon, dass der Beitritt sorgfältig und von langer Hand vorbereitet wird, wie die sehr zu begrüßenden Fortschritte beider Länder belegen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.