79. Plenarrede von Dr. Anja Weisgerber zum Ausbau erneuerbarer Energien

Rede im Deutschen Bundestag, 07. Juli 2022

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Wir alle wollen den massiven Ausbau der erneuerbaren Energien; aber dafür müssen wir die Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigen. Das wird zur Nagelprobe. Das wird zur Nagelprobe auch für die Ampelregierung. Da müssen Sie liefern.
Ich möchte an der Stelle sagen: Es wird immer betont, dass die erneuerbaren Energien und ein Teil der Netze im überragenden öffentlichen Interesse liegen. Aber zur Wahrheit gehört: Das allein reicht nicht. Sie müssen auch einen Ausgleich zwischen dem berechtigten Interesse am beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien und, liebe Kollegen von den Grünen, dem Artenschutz finden.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Dieser Ausgleich, meine Damen und Herren, gelingt Ihnen mit der Reform des Bundesnaturschutzgesetzes eben nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU - Andreas Bleck (AfD): So ist es!)

Sie beziehen die artenschutzrechtliche Ausnahmeregelung nur auf die Windkraft. Es fehlt der 360-Grad-Blick auf alle erneuerbaren Energien. Es fehlt in diesem Zusammenhang das Einbeziehen der Infrastrukturprojekte. Mit Ihrem Gesetz schränken Sie den Artenschutz massiv ein, ohne einen wirklichen Mehrwert für den Ausbau der erneuerbaren Energien und dessen Beschleunigung zu erzielen. Die Experten in der Anhörung am Montag kamen zum gleichen Ergebnis. Die Antworten der Sachverständigen waren eine Ohrfeige für den vorgelegten Gesetzentwurf und damit auch für das Bundesumweltministerium. Deswegen, Frau Kollegin Hoffmann, bedauere ich sehr, dass Ihre Ministerin sich heute entschuldigt hat. Bei so einem wichtigen Gesetzespaket, wo es auch um den Arten- und Umweltschutz geht, muss eine Umweltministerin bei der Debatte hier im Deutschen Bundestag vor Ort sein, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der AfD sowie des Abg. Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) - Friedrich Merz (CDU/CSU): So ist das! Genau so ist das!)

Die Kritik der Sachverständigen war umfassend. Das Gesetz verzögert die Genehmigungen; denn es fehlen bislang noch dringend erforderliche Vollzugshilfen. Unbestimmte Rechtsbegriffe werden durch Ihren Änderungsantrag nur teilweise beseitigt, eben nicht ausreichend. Das Gesetz - so war der wörtliche Ausdruck eines Sachverständigen, der von der SPD benannt wurde - ist ein „Arbeitsbeschaffungsprogramm für Rechtsanwälte“. Fraglich ist auch, ob es mit dem Europarecht vereinbar ist. Es können also noch Klagen und weitere Rechtsunsicherheiten durch die Reform des Bundesnaturschutzgesetzes drohen. So viel zum Inhalt. Jetzt zum Verfahren.

(Zuruf des Abg. Timon Gremmels (SPD))

Der Änderungsantrag zum Gesetz wurde uns am Dienstagabend im Umweltausschuss zehn Minuten vor der Ausschusssitzung zugeleitet. Die Anliegen der Sachverständigen haben Sie versucht in dem Änderungsantrag zu adressieren. Wir konnten es aber gar nicht ausreichend prüfen. Ich sage Ihnen ganz offen: Nach dieser Anhörung hätten Sie den Gesetzentwurf komplett einpacken müssen, neu machen müssen, und Sie hätten auch unsere Anliegen, die wir hier im Entschließungsantrag adressieren, aufgreifen müssen, meine Damen und Herren. 

(Beifall bei der CDU/CSU)

Was sind die Anliegen? Bei der artenschutzrechtlichen Sonderregelung hätten Sie, wie gesagt, viel größer denken müssen. Sie hätten den Ausgleich zwischen dem Ausbau erneuerbarer Energien und dem Artenschutz bezüglich aller erneuerbaren Energien diskutieren müssen. Sie hätten sich auch mit dem Thema „Netzausbau und Artenschutz“ intensiver befassen müssen. Sie müssen Ihren Blick bezüglich der Transformation auf alle Infrastrukturprojekte lenken und dürfen ihn nicht nur auf die Windkraft richten.

(Carina Konrad (FDP): Das machen wir!)

Noch etwas haben Sie verpasst: In diese Reform des Bundesnaturschutzgesetzes hätten Sie auch eine Regelung bezüglich des Ausgleiches reinpacken müssen. Für uns ist es absolut unverständlich, warum für den Bau einer Freiflächenphotovoltaikanlage zum Beispiel auf einer Fläche, wo vorher ein Maisacker war, wo man danach eigentlich eine Aufwertung der Biodiversität hat, immer noch zusätzliche Ausgleichflächen notwendig sind, die der Landwirtschaft wiederum entzogen werden; das ist für uns vollkommen unverständlich. Auch diese Chance haben Sie verpasst. Das hätten Sie im Bundesnaturschutzgesetz regeln müssen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Noch mal zum Gesamtpaket: Keine Regelungen sind enthalten zur Energieeffizienz, keine Regelungen zu den Speichern. Sie konzentrieren sich auf einzelne erneuerbare Energien. Sie bremsen immer noch die Geothermie aus, auch die Biomasse. Bezüglich der Wasserkraft waren Sie einsichtig und haben auf uns gehört; das ist gut. Bei der Solarenergie gibt es nur eine Entschließung bezüglich der Steuerfreiheit für Anlagen bis 30-Kilowatt-Peak. Ich nehme Ihre Zusage ernst, dass Sie dies regeln werden. 
Beim Thema Windkraft regeln Sie letztendlich hier im Bund, wie es mit den Abstandsregelungen und den Flächen auszusehen hat.

(Lisa Badum (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja! Das ist ja auch gut so!)

Sie sind mit den Ländern überhaupt nicht in den Dialog getreten. Auch in Bayern hat man sich deutlich bewegt.

(Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wo denn? Wie denn?)

So sieht Energiewende mit den Bürgern nicht aus.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ihnen fehlt der 360-Grad-Blick auf alle erneuerbaren Energien, für eine vorurteilsfreie Nutzung aller Energiequellen. Ihnen fehlt auch der 360-Grad-Blick auf alle Infrastrukturprojekte, auf die komplette Transformation. Sie schauen auch nicht auf die Bürgerinnen und Bürger und darauf, wie die Energiepreise steigen werden, und nicht auf den Klimaschutz.
Vielen Dank. 

(Beifall bei der CDU/CSU)